Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)

Sacra theologia

DENKEN DES UNÜBERTREFFLICHEN - DIE ZWEIFACHE NORMATIVITÄT...73 dürfnislosigkeit bzw. vollkommenen Selbstgenügsamkeit, der Erstursächlich­keit sowohl für das Dass- und das Wassein aller Wesenheiten als auch für den Wahrheitsgehalt jeder (wahren) Erkenntnis und auch für die sittliche Qualität aller sittlich guten Willensakte von endlichen Vemunftwesen und damit, zu­sammenfassend betrachtet, alle Wesenseigenschaften der unbegrenzten Fülle und Vollkommenheit des Seins. Weil diese Attribute einzelne bzw. spezifische Seinsvollkommenheiten zum Ausdruck bringen, der christliche Gott aber ge­mäß seinem bereits biblisch grundgelegten11 12 Selbstverständnis implizit als In­begriff aller (widerspruchsfrei, mithin formal möglichen) Seinsvollkommen­heiten angenommen wurde, konnten diese philosophischen Gottesattribute von der christlichen Theologie als Bestimmungen auch des christlichen Gottes rezipiert werden. Damit wurde auch für den Bereich der Gotteslehre die christ­liche Verhältnisbestimmung zu der vor- und außerchristlichen Philosophie im Sinne der Logos-Spermatikos-Lehre (Justin der Märtyrer13, Clemens von Ale­xandrien) sowie der Praeparatio-evangelica-Lehre14 ermöglicht: Die christli­che Gotteslehre vollende und erfülle den Wahrheitsgehalt dieser philosophi­schen Gotteslehren, die daher für das Christentum einen vorbereitenden und vorausweisenden Charakter für die Selbstoffenbarung der trinitarischen Ein­heit Gottes in der Person Jesu Christi, seiner einzigartigen Beziehung zum göttlichen Vater und ihrer gemeinsamen Beziehung zum göttlichen Geist er­halten. Während die Gotteslehre der griechischen Patristik (z. B. bei Clemens von Alexandrien, Origenes und Gregor von Nyssa etc.) stärker von den nega­tiv-theologischen Gottesattributen der griechischen Philosophie (Einfachheit als Nicht-Vielheit, Unendlichkeit, Unvergänglichkeit, Immaterialität etc.) ge­prägt ist,15 entwickelt die Gotteslehre der lateinischen Patristik (insb. Augusti­nus) vorzugsweise den affirmativ-theologischen Gottesbegriff eines höchsten Guten {summum bonum) bzw. eines vollkommenen Seins.16 11 Vgl. Mt 7,11; 19,17; Jak 1,17. 13 Vgl. Justinus, Apológiáé (Griechisch - deutsch): Apologien (eingeleitet, übersetzt und kom­mentiert von Ulrich, J.), Darmstadt 2021. II 8.3. Waszink, J. H., Bemerkungen zu Justins Lehre vom Logos Spermatikos, in Stuiber, A. - Hermann, A. (Hrsg.), Mullus (Festschrift Theo­dor Klauser), Münster-Westfalen 1964. 380-390. 14 Vgl. Eusebius von Caesarea, Die Praeparatio Evangelica, I. x (Hrsg. v. Mras, K.), Berlin 1982.2 VII11. 15 Zum Einheitsbegriff in frühchristlichen Gotteslehren der griechischen Patristik vgl. z. B. Cle­mens von Alexandrien, Stromata V: 134; Origenes, Comm. in Io. II §§12-20; ders., Contra celsum I: 23; zur Rezeption und Modifikation des metaphysischen Unendlichkeitsbegriffs in der frühchristlichen Theologiegeschichte vgl. Böhm, Th., Theoria -Unendlichkeit - Aufstieg, 107- 227. 16 Vgl. Schönberger, R., Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses, 352-366.

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