Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)
Sacra theologia
DIE GOTTESFRAGE ALS ZIEL- UND ANGELPUNKT IN DER PHILOSOPHIE...63 Wie man sieht, wird hier Gott nicht selbst direkt erschaut, sondern als notwendige Seins- und Erkenntnisbedingung unseres Daseins und unserer bestimmten Selbst- und Welterfahrung indirekt durch die reduktiv-regressive Methode mittels der negativen Evidenz erschlossen und mit Notwendigkeit in seiner Existenz bewiesen. Die trinitarische Grundstruktur Gottes ergibt sich dann schon relativ leicht aus seinem personalen Sein, das sich mit seiner Trinität nachweislich in seiner Schöpfung, vor allem in den bewussten Geistgeschöpfen und ihrem Wirken, z. B. im Kulturaufbau des Menschen, abbildet, etwa im Willens- und Tatleben der Politik, Medizin, Wirtschaft und Pädagogik, im Erkenntnis- und Vernunftleben der Wissenschaften, Forschung und Lehre und im Gefühls-, Bindungs- und Gestaltungsleben der Gemeinschaften und der Kunstschaffungen. Das göttliche Vaterprinzip erweist sich dabei durch seine Schöpfer- oder Seinssetzungskraft als der göttliche Wille, dem der relativ freie menschliche Wille als geschöpfliche Schaffenskraft entspricht; das göttliche Sohnprinzip erweist sich durch seine Ordnungs-, Erkenntnis- und Richterkraft als die göttliche Vernunft bzw. als der göttliche Logos, dem die menschliche Vernunft als Erkenntnisorgan entspricht; und das göttliche Geistprinzip erweist sich durch seine Gestaltungs-, Vereinigungs- und Vollendungskraft als das göttliche Liebesgefühl, dem das geschöpfliche Liebesvermögen des Menschen entspricht.17 18 Aus den drei geistigen Grundvermögen Wille, Verstand und Gefühl entwickelt von Brandenstein entsprechend dieser Einsichten die drei nachmetaphysischen Wissenschaften,18 und zwar die Tatlehre oder Pragmatik, die Wissenschaftslehre oder Theoretik und die Kunstlehre oder Poietik. Ihre Zusammenfassung auf höherer Ebene ergibt schließlich die umfassende Lebenslehre mit ihrer Wert- und Tugendsystematik, auch Ethik genannt, die schließlich von der Religionsphilosophie gekrönt wird,19 in der das Innenleben Gottes und der göttliche Plan der Weltgeschichte, soweit dem Menschen zugänglich, ermittelt werden. In der Totalübersicht ergibt sich damit folgende Systematik der philosophischen Wissenschaften: 17 In Anlehnung an den Völkerapostel Paulus und den Evangelisten Johannes kann man auch sagen: Vom Vater wird alles erschaffen, durch den Sohn wird alles erkannt und gerichtet („recht gemacht“) und im Heiligen Geist wird alles geliebt und geborgen. 18 Vgl. von Brandenstein, B., Grundlegung der Philosophie, IV: Tatlehre/Pragmatik; V: Kunstlehre/Poietik, München-Salzburg 1966 und 1968. 19 Vgl. von Brandenstein, B., Grundlegung der Philosophie, VI: Ethik/Lebenslehre und Religionsphilosophie, München-Salzburg 1968.