Folia Theologica et Canonica 7. 29/21 (2018)
Sacra theologia
DER PRIESTER IN DER ANZIEHUNG VON CHRISTUS 75 Hier ist also zuerst das Geteiltsein unseres Ichs, richtiger gesagt das Bewusstsein, dass unser Ich nicht ganz uns gehört; als ob fremde Herren in uns unser Schicksal bestimmen würden. Als ob es Stufen gäben, wie Er, das höchste Ich unsere Seele bewohnen kann, so dass Er nicht Zerstören sondern Bauen verrichtet. Zuerst flammt nur unser Herz, aber nach einer Weile bemerken wir, dass unsere Seele vor Ihm noch nicht huldigt. Nachdem Ihm auch unsere Seele unterworfen hat, müssen wir traurig erkennen, dass unser Geist noch nicht wirklich ihm gehört. Hier ist zuerst unser Freudscher Über-Ich - es gebietet grausam, es bestimmt unser Ich, es ist jedoch ein fremdes Körper. Es gebietet schonunglos, gefolgt von der Zwanghaftigkeit. Auch der Herr Jesu gebietet, aber er erwartet kein zwanghaftes Verhalten sondern eine wahrhaftig gehorsame, das heisst freie Verbeugung. Auch das Ich von Christus ist über uns, aber es funktioniert trotzdem nicht als ein Über-Ich. Wenn wir auf ihn hinaufblicken, sehen wir sozusagen sein Schweben, Ihn, der die Wahrheit ist. Unser anderes Ich ist das Ich vor dem Ich, unsere gesellschaftliche Maske, das heisst das Ich der Angst, dass sie ja nicht zu reden beginnen; alles muss nach den Erwartungen passieren. Die übernommene Rolle verpflichtet uns, wir sind also gleich ihre Gefangenen. Christus, obwohl er uns mit Aufgaben betraut, was auch eine Rollenübernahme bedeutet, will trotzdem nicht, dass wir uns nur auf das Rollen-Ich begrenzen. Er weiss genau, dass die gesellschaftliche Rolle eine Art Firewall ist, die schützt und legitimiert, aber er weiss auch, dass das Ich eine viel tiefere Wirklichkeit als diese Rolle ist, die einerseits schamhaft verborgen andererseits aber bescheiden gezeigt werden soll. Und Er selbst verbirgt unser Ich vor den neugierigen Blicken. Eine weitere Dimension unseres Ichs ist das Ich hinter dem Ich, das heisst unser Schatten-Ich; das ist unsere Vergangenheit, die so aussieht, als wäre sie unser Verhängnis. Unser Schatten-Ich begleitet uns in Versuchung führend: auch diesmal wird das nicht gelingen, oder jetzt endlich schon, obwohl das kein Zeichen hat, aber jetzt wird das gelingen. Wenn wir Christus zum Herrn unseres Ichs annehmen, begleitet Er uns auch, aber Er führt uns nicht in die Versuchung. Er macht Vorschläge, Befehle, stellt uns vor Entscheidungen, aber er lässt unsere Freiheit übrig. Bei ihm gibt es Vergebung, darum gibt es auch einen Wiederbeginn und Erneuerung. Wir sollen nicht vergessen, dass es jetzt, im stolzen revolutionären Zeitalter der Kommunikation keine Vergebung und keine Vergessenheit gibt; zu jeder beliebigen Zeit kann aus dem kybernetischen Raum die schmutzige Vergangenheit eines jeden Menschen hervorziehen, damit er sein Leben nicht wieder beginnen kann. Hier befindet sich dann unser Automat-Ich, der in uns lebende Robotmensch, der alles aus Gewohnheit, Ersatzhandlung das heisst ohne Verantwortung tun will. Alles will er mit dem Reflex, dem Zwang erklären. Diese Dimension unseres Ichs könnte auch unser narkotisches Ich genannt weden. Auch Christus