Folia Theologica et Canonica 5. 27/19 (2016)
SACRA THEOLOGIA - Imre Kocsis, Die Gnade Gottes und der Heilige Geist in der Rechtfertigungslehre des Apostels Paulus
IMRE KOCSIS sind auch die Unterschiede nicht zu übersehen. Zuerst können wir auf die Universalität der paulinischen Betrachtungsweise hinweisen. Die Rechtfertigung, die eine innere Erneuerung zur Folge hat, bezieht sich bei Paulus nicht nur auf das auserwählte Volk (wie bei Jeremia und Ezechiel) und gar nicht auf einen heiligen Rest innerhalb Israels (wie in Qumran), sondern auf jeden Menschen, der sich der Verkündigung des Evangeliums öffnet. Nicht die nationale Zugehörigkeit ist das entscheidende Kriterium, sondern der Glauben an Christus. So kommen wir zur wichtigsten Eigenart der paulinischer Rechtfertigungslehre, welche Eigenart im Christozentrismus besteht. Die Gnade, die den Sünder zum Gerechten macht, ist kein Wohlwollen im allgemeinen Sinne, auch keine Gunst, die auf der Auserwählung oder auf dem Bund basiert, sondern die Zuwendung Gottes zu uns, die sich im gehorsamen Leben und im Kreuzestod Jesu Christi erschließt und als erlösende Kraft wirksam wird. Und der Geist, der uns diese Gnade innerlich erfassbar macht, ist nicht nur der Geist_Gottes, sondern zugleich auch der Geist Christi. Gerade dadurch, dass der Geist Christi selbst in uns wohnt, entsteht die Lebensgemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn. Durch den Geist gehören wir zu Christus und er lebt durch den Geist in uns (vgl. Gal 2,20; Röm8,10). Dies beachtet ist es selbstverständlich, dass für Paulus auch das Ziel der Rechtfertigung nicht dasselbe ist wie bei den Propheten und in den Qumranschriften. Nach den letztgenannten Werken richtet sich die wirksame Hilfe Gottes auf die genaue Erfüllung aller Vorschriften des Gesetzes des Mose. Für Paulus ist aber das Gesetz Christi maßgebend, das keine neue Gesetzessammlung bedeutet, sondern in der am Lebenswerk Christi sich aufschließende Forderung besteht, die der Heilige Geist für die Glaubenden von innen her bewusst macht.10 Gerade deshalb ist das vom Heiligen Geist geleitete gerechte Leben nichts anderes als Angleichung an Christus (Phil 3,10) und Umwandlung in sein Ebenbild (2Kor 3,18). Der Geist Christi regt grundsätzlich dazu an - und zugleich ermöglicht es -, dass der Christ, dem Beispiel Jesu folgend, der „Gesinnung“ Christi gemäß denkt, handelt und leidet, und so seine Lebensform dem neuen Leben entspricht, das er in der Taufe als unentgeltliche Gabe erhielt. 3,1 Dies bedeutet natürlich nicht, dass das alttestamentliche Gesetz in jeder Hinsicht als überholt zu betrachten wäre. D. Zeller bemerkt mit Recht: „Als Heilsvermächtnis ist das Gesetz in Christus abgeschafft (vgl. 2Kor 3,14; Gal 2,18), aber als Ausdruck des göttlichen Heiligungswillens wird es für die Gerechtfertigten erst richtig in Kraft gesetzt (3,31 ).“ „Darin (= Gesetz Christi) ist der Kern der atl. Willenskundgabe Gottes bewahrt." Zeller, D., Der Brief an die Römer (RNT), Regensburg 1985. 156-157. Vgl. auch Giesen, H., Befreiung des Gesetzes aus der Sklaverei der Sünde als Ermöglichung der Gesetzeserfüllung (Rom R, 1-4), in BZ NF 53 (2009) 179-211.