Folia Theologica et Canonica 4. 26/18 (2015)

SACRA THEOLOGIA - Krisztián Vincze, Die Realität und die würde des Leidens in der Philosophie von Simone Weil

108 KRISZTIÁN VINCZE Überwindung. Das ganze Universum konnte dadurch entstehen, dass Gott auf sein Königtum verzichtet und sich zurückgezogen hatte. Die Macht Gottes in der Schöpfung koinzidiert mit dem Überschwang seiner Liebe, welcher dem­nach eine Verringerung ist, die das Zurückziehen und die Selbstbeschränkung Gottes bedeutet. Nach dieser Umschreibung der Schöpfung meint Weil, dass das Weltall im Ganzen durch die Notwendigkeit bestimmt ist. Das impliziert auch, dass Gott Liebe ist. Er verzichtete auf seine Macht, und so ist er die von ihrer Macht losgelöste Liebe. Das heißt aber, dass er für die in der Welt laufen­den Mechanismen nicht schuldig gemacht werden kann. Gott zog sich in der Schöpfung zurück. Er übergab seine Macht der Notwendigkeit, so wird die ganze, in derZeit laufende Entwicklung der Welt der Notwendigkeit anvertraut. „Die Notwendigkeit ist die Grenze, die von Gott auf das Chaos auferlegt wur­de: sie herrscht über der Welt, zugleich trägt sie als Regulativprinzip auf sich den Abdruck der Göttlichkeit“. Somit ist alles, was in der Welt geschieht, not­wendig, und die Notwendigkeit ist eines der Gesichter Gottes, das dem Univer­sum gezeigt wird, „sie ist sogar die ewige Anordnung der Vorsehung“, und man kann sagen, dass die Notwendigkeit die wesentliche Kontinuität zu Gott ist. Die Struktur der materiellen Welt als Notwendigkeit stammt unvermittelt von Gott.21 Alles, was es in der Welt gibt, gehorcht mechanischen Gesetzen, die blind und messbar wie etwa das Fallgesetz sind. Grundsatz der weilschen Anthropo­logie ist, dass „der Mensch an dem Schicksal der materiellen Seienden teil­nimmt, derer Realität in dem vemünftigen/sinnvollen Gesetz besteht. Der Be­sitz des Leibes und der mentalen Funktionen ist nur der durch Perzeptionen der Notwendigkeit laufenden Interpretation zu verdanken, weil wir im Wesentlichen nur Netzwerk. Verbindung, Gesetzt und Bezogenheit sind. Die Ohnmacht, das Unvermögen, die Zerbrechlichkeit unseres Leibes, die stetig unsere Erwartun­gen und Kontrolle widerlegen, sind frappante Ausdrücke unseres den univer­salen Gesetzen gegenüber bezeugten vollkommenen Gehorsams, das zugleich das innerste Wesen der Materie ist.“22 Der Mechanismus der Notwendigkeit geht auf alle Ebenen weiter, bewahrt sein Wesen und wird gegenwärtig in der puren Materie, in der Vegetation, in der Tierwelt, in den Völkern und in den einzelnen Geistern. Die Materie ist vollkommen passiv, weil sie den Willen Gottes vollkommen befolgt. Die Materie ist für uns ein hervorragendes Modell für den Gehorsam, in ihr ist nämlich nichts anderes präsent als Gott allein und alles, was ihm gehorcht.23 21 Vgl. Vető, M„ Simone Weil, 27-29. 22 Vető, M, Simone Weil, 45. 23 Vgl. Weil, S, Szerencsétlenség és istenszeretet, in Weil, S., Ami személyes és ami szent, 49-67, 59-61.

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