Folia Theologica et Canonica 3. 25/17 (2014)
SACRA THEOLOGIA - Imre Kocsis, Der Einfluss von Dan 7 auf die Johannes-Offenbarung
38 IMRE KOCSIS geschlachtete Kopf enthält einen Hinweis auf Nero, während die Genesung sich auf einen späteren Kaiser, vermutlich auf Domitian bezieht. Dies kann ich durchaus für eine gemessene Interpretation halten. Aber es darf nicht übersehen werden, dass die Formulierung, vor allem das Partizip èGcpaypévrjV (vom Verb GcpàÇco) an Offb 5,6 erinnert, wo das geschlachtete und zum Leben erweckte Lamm präsentiert wird: „Und ich sah inmitten des Throns und der vier Lebewesen und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen wie geschlachtet (èocpaypévov)”. Man findet fast die gleiche Formulierung (Partizip Passiv), die kein Zufall sein kann. Das aus dem Meer hervorkommende Tier ist absichtlich als Anti-Christus vorgestellt. Er hat Macht und Herrschaft „über alle Stämme, Völker, Sprachen und Nationen” (13,7). Freilich kann er diese absolute Herrschaft nur über die ausüben, die nicht zu Christus gehören. Auf diejenigen, die Christus als den Erlöser gläubig anerkennen und bekennen, hat er keinen richtigen Einfluss. Er kann sie verfolgen und für eine kurze Zeit besiegen, aber er kann es nicht verhindern, dass die Erlösten Teilhaber des ewigen Reichs Christi werden (vgl. Offb 5,9-10). Abschluss Betreffs der Anwendung von Dan 7 in der Johannes-Offenbarung können wir zum Schluß zwei Besonderheiten hervorheben: a) Dan 7 wird immer mit anderen alttestamentlichen Texten betrachtet. Dies ist besonders in den Menschensohntexten offensichtlich. Die Person, die Dan 7,13 gemäß mit den Wolken kommen wird, ist dieselbe, die nach Sach 12,10 durchbohrt wurde und nach Joël 4,13 das Endgericht in Gang setzen wird. Überdies hat dieser Menschensohngleiche Züge, die in Dan 10,5-6 den mit besonderer Würde erscheinenden Gottesboten und in Dan 7,9 Gott selbst charakterisieren. b) Die aus Dan 7 entnommenen Motive stehen im Dienst der Christologie. Es ist ziemlich eindeutig, dass sowohl der mit Wolken Kommende in 1,7 als auch der Menschensohngleiche in 1,13 und in 14,14 mit dem erhöhten und verherrlichten Christus identisch sind. Er erscheint als der erhöhte Herrscher, der früher durchbohrt wurde; als der bevollmächtigte Richter, der schon in der Gegenwart in seiner Kirche eine richterliche Funktion ausübt und in der Zukunft das Endgericht in Gang setzen wird.24 24 Auch in den Evangelien können wir eine radikale Neuinterpretation von Dan 7,13 beobachten. Der Ausdruck „Menschensohn” ist eindeutig ein Hoheitstitel, der nicht nur den in der Zukunft kommenden verherrlichten Christus bezeichnet (vgl. Mk 8,38; 13,26f; 15,62; Mt 19,28), sondern auch den irdischen Jesus, und zwar in Bezug sowohl auf seine machtvolle Tätigkeit (Mk 2,10. 28) als auch auf seinen gewaltsamen Tod (Mk 8,31; 9,31; 10,33).