Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)

IUS CANONICUM - Joseph Gehr, Die Förderung der affektiven Reife in der Seminarausbildung. Eine unerlässliche Voraussetzung zur Vorbereitung auf das zölibatäre Leben des Priesters

242 JOSEPH GEHR erlaubt es, den Zölibat anzunehmen und zu leben. Er wird so nicht ein äußerli­ches Element sein, das mühsam zu ertragen ist, sondern wie die Neudefinition seiner selbst, die aus der Begegnung mit Christus hervorgeht. Mit dem Ruf zum Priesteramt gestattet der Herr eine Blüte des Menschseins, eine Reinigung, eine außerordentliche Weitung, damit es schrittweise fähig wird, in endgültiger Weise das außerordentliche Charisma der Ehelosigkeit aufzunehmen und es als stärkstes Zeugnis für Christus im Alltag zu leben. Die Vertrautheit mit Gott, die eine unerlässliche Bedingung der Ausbildung zum Zölibat ist, kultiviert man vor allem im Gebet. Die tägliche Feier der heiligen Messe, das Stundengebet, die eucharistische Anbetung, die Betrachtung des Wortes Gottes, das Stoß- und das Rosenkranzgebet sind die Mindestvoraussetzung für die Hoffnung, die priesterliche Ehelosigkeit fruchtbar leben zu können. Die Seminarzeit ist die Gelegenheit, sich zu diesen unverzichtbaren Dimensionen des priesterlichen Lebens zu erziehen, so dass sie mit Hilfe der übernatürlichen Gnade nicht nur gute und tugendhafte Haltungen sind, sondern eine geistliche Struktur werden, durch die die persönliche Identität geprägt wird56. Der Empfang des Bußsakra­mentes ist in diesem Zusammenhang unerlässlich und die erste Medizin für die Heilung von den Begrenzungen der Begierde und für das Leben der Enthalt­samkeit um des Himmelreiches willen57. Da der Kleriker durch die Weihe Christus gleichgestaltet wird, kann er nicht umhin, wie der Herr Priester und Opfergabe zugleich zu sein. „Diese Wahrheit stellt die Notwendigkeit einer gediegenen Askese ins rechte Licht, die darauf abzielt, alles zu vermeiden, was den priesterlichen Dienst beeinträchtigen könnte. Zugleich ist sie eine positive Einladung, den königlichen Weg des Kreuzes zu gehen (...) Bedenkt man, dass in der heutigen Welt ein aszesefeind- liches Klima herrscht, das jegliche Abtötung ablehnt, so erscheint es als dring­ende Erziehungsaufgabe des Seminars, in den Theologiestudenten die Über­zeugung zu wecken, dass die Pflicht zur Aszese unabdingbar ist, um zur menschlichen, christlichen und priesterlichen Reife zu gelangen, und dass man ohne sie nicht in das österliche Geheimnis Christi hineinwachsen kann“58. In aktuellen Ausbildungsprogrammen taucht der Begriff „Askese“ selten auf59. Dagegen findet der Ersatzbegriff „Disziplin“, öfter Verwendung60, dürfte jedoch inhaltlich nicht deckungsgleich sein. Konkret schlägt sich das Einüben in die Selbstbeherrschung etwa im Umgang mit Genuss- und Suchtmitteln, wie Niko­56 Vgl. Piacenza, M., La formazione affettiva al sacro celibato, 25-27. 57 Vgl. Piacenza, M., La formazione affettiva al sacro celibato, 28-29. 58 Kongregation Unterrichtswesen, Leitgedanken, Nr. 54-55, 53-54. 59 In der Ratio nationalis der Deutschen Bischofskonferenz scheint der Begriff einmal im Zusam­menhang mit dem evangelischen Rat der Armut auf. Vgl. Rahmenordnung Priesterbildung DBK, Nr. 11,20. 60 Vgl. Rahmenordnung Priesterbildung DBK, Nr. 23, 28; Nr. 38, 34; Nr. 50,40.

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