Folia Canonica 6. (2003)
STUDIES - Peter Landau: Seelsorge in den Kanonessammlungen von der Zeit der gregorianischen Reform bis zu Gratian
74 PETER LANDAU hältnis nicht gerade umgekehrt sein könne108. Frank wollte sich in dieser Frage nicht festlegen und meinte abschliessend: „Eine Entscheidung ist so lange unmöglich, als die Überlieferung des Pseudo-Nicaenums und des Pseu- do-Eugenius dunkel bleibt.“.109 Unsere heutige Kenntnis der vorgratianischen Sammlungen ermöglicht eine annähernde Beantwortung der von Frank offen gelassenen Frage. Es ist zunächst hervorzuheben, dass die beiden antimonastischen Fälschungen ausserhalb Italiens im 11. und beginnenden 12. Jahrhundert nicht nachweisbar sind. Auch in Italien selbst tauchen sie in den grossen Sammlungen der gregorianischen Reform wie Anselm, Deusdedit und Bonizo nicht auf. Jedoch findet man den Nicäa-Kanon in der durch drei Handschriften überlieferten Sammlung in 183 Titeln (auch Collectio von Santa Maria Novella genannt), deren Inhalt von Motta analysiert wurde.110 Diese Sammlung bringt den Konzilskanon unter der Titelüberschrift “Quod penitentiam monachi non dent“.111 Die Collectio wurde offenbar in der westlichen Toskana zwischen 1063 und 1083 zusammengestellt, wahrscheinlich um 1075, da schon vor 1085 eine weitere Sammlung als Exzerpt auf ihrer Grundlage entstand, nämlich die Sammlung in 5 Büchern der Handschrift Vat.1348, wahrscheinlich ebenfalls in der Toskana.112 Auch in diese zweite Sammlung wurde der Nicäa-Text aufgenommen,113 so das er demnach spätestens um 1080 in Mittelitalien Verbreitung fand. Die weitere Rezeption des Nicäa-Kanons in den Rechtssammlungen hat ebenfalls ihren Schwerpunkt eindeutig in Italien. Man findet ihn in mehreren erweiterten Fassungen der Sammlung des Anselm von Lucca, nämlich in der aus Lucca stammenden Rezension Bb bald nach 1100 am Ende des sechsten Buches114 und in der später wohl um 1130 entstandenen norditalienischen Rezension C des An108 Frank, Zwei Fälschungen (Fn. 58) 45. 109 Frank, ibi, 46. II0J. Motta (ed.), Liber canonum diversorum sanctorum patrum sive Collectio in CLXXXlll titulos digesta, in MIC, Ser. B, vol. 7, Città del Vaticano 1988. 111 Collectio 183 titulorum 145.2, cf. Motta, ibi 229. 112 Cf. Motta, ibi XXVIs. Cf. auch J. Motta, II Liber canonum diversorum sanctorum patrum e la disciplina canonica, in Chiesa, Diritto e Ordinamento della Societas Christiana nei secoliXI e XII. Atti della nona Settimana Mendola 1983, Miscellanea dei Centro di Studi Me- dioevaliXI, Milano 1986, 331-339, hier 333. Zur Collectio 5 librorum des m.s. Vat. lat. 1348 cf. V. Wolf von Glanvell, Die Canonessammlung des Cod. Vatican, lat. 1348, in Sitzungs- ber. Ak. Wien, Phil.-hist. Kl. 136.2 (1897) 1-55; ferner Motta, Liber Canonum, 303-324. Zur Datierung dieser Sammlung A.M. STICKLER, Ilpotere coattivo materiale della chiesa nel- la riforma gregoriana secondo Anselmo di Lucca, in Studi Gregoriani 2 ( 1947) 23 5-285, hier 275-278. Zur Abhängigkeit dieser Sammlung von der Sammlung in 183 Titeln cf. G. Motta, I rapporti tra la collezione canonica di S. Maria Novella e quella in Cinque Libri, in BMCL N.S. 7(1977)89-94. 113 5 L 3.29.2, cf. Motta, Liber canonum (Fn. 112), 319. 114 Cf. Frank, Zwei Fälschungen, (Fn. 58) 45. Der Kanon ist Ans. Bb 6.214b.