Folia Canonica 6. (2003)
STUDIES - Peter Landau: Seelsorge in den Kanonessammlungen von der Zeit der gregorianischen Reform bis zu Gratian
FOLIA CANONICA 6 (2003) 57-81. PETER LANDAU SEELSORGE IN DEN KANONESSAMMLUNGEN VON DER ZEIT DER GREGORIANISCHEN REFORM BIS ZU GRATIAN in memoriam John Gilchrist I. Einleitung; II. Anselm von Luçcazur cura animarum-, Hl. Deusdedit, Bonizo und POLYCARP ZUR CURA ANIMARUM; IV. GEFÄLSCHTE RECHTSTEXTE FÜR DAS RECHT AUF SEELSORGE; V. ANTIMONASTISCHE FÄLSCHUNGEN; VI. GRATIANS AUSEINANDERSETZUNG MIT DEN FÄLSCHUNGEN; VII. Schluss. I. EINLEITUNG Fragen der Seelsorge sind im ersten Jahrtausend der Kirchengeschichte kaum Gegenstand rechtlicher Regelungen gewesen. In der spätantiken Kirche bildeten die Kirchenorganisation und die Reaktion der Kirche auf Abweichungen von der kirchlichen Lehre und den unter Klerikern und Laien legitimen Lebensformen die Hauptthemen der Kanones. Das Recht des niederen Klerus ist in der Reichskirche ein Recht der Klerikerpflichten und der Klerikerprivilegien, was sich auch noch im Aufbau moderner Darstellungen der Geschichte des Kirchenrechts ablesen lässt.1 Der niedere Klerus steht anders als Bischöfe und Metropoliten ohnehin nicht im Mittelpunkt der Konzilskanones.2 Auch im frühen Mittelalter, etwa in der Karolingerzeit, werden Fragen der Seelsorge in den kirchenrechtlichen Texten nur selten behandelt. Zwar werden Fragen des Sakramentenrechts und der Liturgie sowohl von karolingischen Konzilien als auch in den Dekretalen Pseudo-Isidors angesprochen;3 jedoch 1 So ist etwa im Standardwerk von J. Gaudemet, L'Église dans I 'Empire Roman (= Histoire du Droit et des Institutions de l'Église en Occident, tom.Ill, Paris 195 8) der § 3 von ch.II, sect. I: Le statut des clercs in folgende Abschnitte gegliedert; I. Les obligations cléricales, IL Les privilèges des clercs, III. L’attache à l’Église. Die Seelsorge wird nur auf zwei Seiten unter der Rubrik ‘fonctions du clergé inférieur’ (371-373) behandelt. 2 So stellt z.B. P. Hinschius, Kirchenrecht, vol. II, Berlin 1878, 262 fest, dass es beim Mangel näherer Quellen zweifelhaft sei, welches die nähere Stellung der Priester auf dem Lande in der spätantiken Reichskirche gewesen sei. Die allgemeinen Pflichten der Kleriker werden allerdings in apokryphen Kirchenrechtsquellen wie den Canones apostolorum, den Statuta ecclesiae antiqua und der Epistola canonica geregelt. 3 Zur Thematisierung solcher Fragen in den karolingischen Konzilien cf. W. Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien (Konziliengeschichte, hrsg. von W. Brandmüller), Paderborn etc. 1989, 427-438. Zu Fragen der Liturgie bei Pseu-