Folia Canonica 5. (2002)
STUDIES - Spyros N. Troianos: Die Entwicklung und der aktuelle Stand des kanonischen Rechts und der Kanonistik in der griechischen Orthodoxie
22 SPYROS N. TROIANOS Religions- und Gewissensfreiheit und der Rechtsstellung der römisch-katholischen Kirche in Griechenland. Aber nicht nur die Verfassungsrechtler haben gezwungenermaßen die Last auf sich genommen, mehr oder weniger große Teile des Kirchenrechts in ihren Schriften zu behandeln, sondern auch Vertreter anderer Fächer befanden sich in derselben Lage. Bezeichnend ist der Fall des späteren Professors für Zivilrecht Antonios Mompherratos, der im Jahre 1890 eine umfangreiche Abhandlung über die Erbfolge der Kleriker und Mönche veröffentlichte. Kehren wir nun zu den Kirchenrechtlern zurück. Nachfolger von Eutaxias wurde Konstantin Rallis, nachdem der Lehrstuhl für Kirchenrecht fünf Jahre lang, bis 1916, vakant geblieben war. Rallis, der von 1886 bis 1889 in Leipzig studiert und dort promoviert hatte, interessierte sich vornehmlich für die römische Rechtsgeschichte.So hielt er nach seiner Habilitation (1891) zunächst Vorlesungen über römisches Recht. Durch das Studium der römischen Rechtsquellen lernte er aber auch die Quellen des östlichen Kirchenrechts kennen. Da er sich allmählich der Kanonistik zuwandte, nahm er 1910 den Ruf auf den damals neuen Lehrstuhl für kanonisches Recht an der Theologischen Fakultät an. Rallis wurde allerdings nicht gleich nach der Gründung des neuen Lehrstuhls berufen. Zunächst war die Wahl der Theologen auf Demetrios Petrakakos gefallen, der ebenfalls in Deutschland (Leipzig, Berlin und Heidelberg) studiert hatte und sich durch ein umfangreiches Werk (u. a. „Die Toten im Recht“ und mehrere Arbeiten über die Organisation des Klosterlebens) auszeichnete. Petrakakos lehnte indessen wegen seiner politischen Ambitionen den Ruf ab. Die Lehrtätigkeit von Konstantin Rallis an der Theologischen Fakultät dauerte bis 1916; dann trat er zurück, um nunmehr den seit 1911, wie bereits erwähnt, vakanten Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Juristischen Fakultät zu übernehmen. Nachfolger von Rallis als Kanonist an der Theologischen Fakultät wurde Hamilcar Alivizatos, auf den wir noch zurückkommen werden. Den Lehrstuhl für Kirchenrecht behielt Rallis 21 Jahre lang bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1937. Das Werk von Rallis auf dem Gebiet des gesamten Kirchenrechts ist imponierend; hervorheben möchte ich hier nur einige Themen: Die Versetzung der Bischöfe (1898), die Unveräußerlichkeit des Kirchenvermögens (1893-1903), das Bußsakrament (1905), das Strafrecht der Orthodoxen Kirche (1907), das Asylrecht in der Ostkirche (1911), die Klosterfusion (1911) und die Demission der Bischöfe (1911). Darüber hinaus veröffentlichte er viele kleinere Aufsätze im Jahrbuch der Universität und (später) in den Sitzungsberichten der Athener Akademie der Wissenschaften. 1927 erschien der erste Halbband seines Handbuches über das in Griechenland geltende Kirchenrecht. Dieser Halbband umfaßte die Einleitung, die den Beziehungen zwischen Staat und Kirche gewidmet ist, und sechs große Kapitel über die Synoden, die Bischöfe und die Kirchenprovinzen, die Pfarrer und die