Folia Canonica 4. (2001)

STUDIES - Helmut Pree: Nichtterritoriale Strukturen der hierarchischen Kirchenverfassung

44 HELMUTH PREE — Vollrepräsentanz ist die Kirche mit der Reichhaltigkeit ihrer Charismen nur in der territorialen Erfassung aller Gläubigen eines Gebietes, sodass alle Charismen und Gaben präsent sein können.89 — Die Territorialität verhindert verschiedene Verengungen, sei es durch be­grenzte Perspektiven, durch einseitige Prioritätensetzung (auf Kosten der Verwirklichung aller drei Grundfunktionen von Kirche), eines spiritualistisch verengten Kirchenbildes, einer Preisgabe des missionarischen Wirkens nach außen (auf Grund der Pflege ausschließlich innerer Beziehungen innerhalb einer personal bestimmten Gruppe), der Isolierung und Absonderung von der Gemeinde durch Konzentration auf eine Gruppe von Gleichgesinnten, durch die Gefahr mangelnder Stabilität und damit Kontinuität im dauerhaften Durch­tragen der umfassenden Sendung der Kirche.90 3) Als klärungsbedürftig erweisen sich mehrere Fragen nach der Bewertung und Zuordnung neuerer nichtterritorialer Strukturen zur ordentlichen Verfas­sungsstruktur der Kirche bzw. zum Begriff der „Teilkirche”. 4) Leitender Gesichtspunkt für die Bewertung von Territorialität und Nicht­territorialität besonders auf der Ebene der Teilkirche muss die theologische Wahrheit von der mutua interioritas von Gesamtkirche und Teilkirche sein. Die Gesamtkirche trägt in die Teilkirchen das Element der territorialen Unbegrenz­theit ein, umgekehrt bereichern die Teilkirchen die Gesamtkirche mit den Konkretionen der territorialen, personalen und nach Sachgesichtspunkten (be­sondere Apostolatszwecke) determinierten Einheiten der Kirche. Letztere er­halten ihr Kirchesein wesentlich aus dem Lebenszusammenhang mit den übri­gen Einheiten der Kirche und der Gesamtkirche. Territorialität und Personalität sind mithin Faktoren und Manifestationen des Verhältnisses von Einheit und Vielheit in der Kirche. Die Teilkirche soll ihren ekklesiologischen Reichtum zur Geltung bringen; nicht legitim ist es jedoch umgekehrt, wenn Einzelzwecke auf Kosten der Teilkirchen und auf Kosten der Einheitlichkeit der bischöflichen Leitung in der communio ecclesiarum durchgesetzt werden. D. h.: Die mutua interioritas ermöglicht einerseits im Interesse der Einheit der Kirche gesamt­kirchliche Einrichtungen, setzt dem aber auch Grenzen zugunsten der Teilkir­chen, welche nicht um ihre Substanz und Vollrepräsentanz als Kirche gebracht werden dürfen, eben weil es ihre Aufgabe ist, Kirche konkret zu verwirklichen und ihren Reichtum in die Gesamtkirche einzubringen. 5) Auf dieser Basis bedarf es einer Neubesinnung auf den ekklesiologischen Stellenwert der Orthaftigkeit von Kirche im Zeitalter einer fortschreitenden Mobilität und Individualisierung des Menschen in nahezu allen seinen Lebens- bereichen.

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