Folia Canonica 3. (2000)
STUDIES - Peter Landau: Die Canones Apostolorum im Abendländischen Kirchenrecht, insbesondere bei Gratian
28 PETER LANDAU und können daher als das historisch erste Gesetzbuch für den Klerus bezeichnet werden, das in der christlichen Kirche konzipiert wurde. Diese aus Syrien stammenden und von arianischem Gedankengut beeinflussten Texte4 5 hatten im Osten einen erstaunlichen Erfolg, da sie zunächst in der orthodoxen Reichskirche rezipiert wurden, wo Johannes Scholasticus sie um 535 zusammen mit den Konzilkanones und Texten Basilius des Großen in seine Synagoge canonum aufnahm, die erste systematisch in fünfzig Titel gegliederte Sammlung orientalischen Kirchenrechts.Außerhalb der Reichskirche akzeptierten Monophysiten, Nestorianer und die armenische Kirche die Apostelkanones als Rechtssätze mit apostolischer Beglaubigung.6 Für ihre Autorität im östlichen Kirchenrecht wurde schließlich entscheidend, dass das Trullani- sche Konzil von 691/692 zwar die apostolischen Konstitutionen verwarf, die 85 Apostelkanones aber ausdrücklich anerkannte.7 Damit wurden letztere als einziges Teilstück der pseudo - apostolischen Kirchenordnungen zu einem festen Bestandteil des Rechts der Ostkirche. Der lateinische Westen lernte die Apostelkanones zuerst durch eine lateinische Übersetzung der Apostolischen Konstitutionen einschließlich ihres Anhangs kennen, von der uns ein Teilstück im sog. Fragmentum Veronense erhalten ist, das mitten im achten Buch der Apostolischen Konstitutionen einsetzt (Const. Ap. VIII.41) und sämtliche Apostelkanones ohne Numerierung bringt.8 In der weiteren kanonistischen Tradition spielte diese frühe Übersetzung allerdings keine Rolle; die Fortwirkung der Apostelkanones im Abendland beruht auf Dionysius Exiguus. Dieser stellte die ersten 50 der 85 Kanones bereits in der frühesten Redaktion seiner Konziliensammlung in einer von ihm ange4 Nach Turner, Notes (Anm. 1), 536 f. wurden die Apostelkanones in einer ersten Redaktion durch eine arianische Glaubensformel abgeschlossen. Der arianische Einfluss wird auch bereits von Schwartz, Kanonessammlungen (Anm. 1), 41 hervorgehoben. 5 Hierzu cf. A. STICKLER, Historia Iuris Canonici Latini, I, Augustae Taurinorum 1950, 70; ferner E. SCHWARTZ, Die Kanonessammlungen des Johannes Scholasticus (Sitzungsber. Bayer. Ak. d. Wiss., Phil-hist. Kl., H.6), München 1933. 6 Cf. Van Hove, Prolegomena (Anm. 3), 131; Bardy, Canons (Anm. 1), 1294. 7 So Cone. Trullanum c. 2. Der Text jetzt ediert mit lateinischer und englischer Übersetzung in G. Nedungatt-M. Featherstone (eds.), The Council in Trullo Revisited (Kanonika 6), Roma 1995, 64 f. 8 Das Fragmentum Veronense wurde von dem Veroneser Bibliothekar Antonio Spagnolo entdeckt und von ihm und Turner beschrieben-cf. A. Spagnolo-C. H. Turner, A Fragment of an Unknown Version of the Apostolic Constitutions, in Journal of Theological Studies 13 (1912) 492-510; C. H. Turner, A Primitive Edition of the Apostolic Constitutions and Canons, in Journal of Theological Studies 15 (1914) 53-65. Edition dieser lateinischen Version bei C. H. Turner (ed.), Ecclesiae occidentalis Monumenta luris Antiquissima I, 2,1, Oxonii 1913, 32a-32nn durch Spagnolo; dort auch Angaben über das Alter des Veroneser Codex und der lateinischen Übersetzung (p.32ii). Die Übersetzung erfolgte offenbar im fünften Jahrhundert, lag jedenfalls vor Dionysius Exiguus - cf. Bardy, Canons (Anm. 1), 1291. Dionysius Exiguus scheint sie nicht gekannt zu haben.