Folia Canonica 2. (1999)

STUDIES - Eva M. Synek: Kirchenordnung als Ausdruck von Gottes Menschenfreundlichkeit? Spätantike Perspektiven

144 EVA M. SYNEK zuführen. Grundsätzlicher Verzicht auf sexuelle Betätigung wurde - anders als im westlichen Verständnis der karthagischen Kanones - nicht zur Wei­hevoraussetzung gemacht. Vereinzelt wurde auch die in c. 10 von Ankyra87 vorgesehene Möglichkeit aufgegriffen, daß sich ein lediger Weihekandidat eine spätere Eheschließung reserviert. Das „liberalste” Klerikereherecht hat die ostsyrischen Kirche („Apostolische Kirche des Ostens”, „Assyrische Kirche”) entwickelt: Bereits auf den Reformsynoden des fünften Jahrhunderts wurde hier das Ehehindernis der Weihe ganz aufgegeben88; auf Dauer nicht behaupten konnte sich allerdings die Eheerlaubnis für Bischöfe, die nach der Synode des Babai auch für den Patriarchen gelten sollte89. Entscheidend für die östliche Entwicklung war wohl, daß die Enthalt­samkeitsforderung - abgesehen von jenen Tagen, wo sie alle Gläubigen trifft90 die synodalen Vorgänge betrachtet werden. Damit fehlt ein eindeutiges Zeugnis für eine „alte Tradition”. Gemäß Hippolytus von Rom, Refutatio omnium haeresium 9,12,22 (ed. P. WENDLAND, Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte Bd. 26, 249 f) wurden selbst in Rom unter Bischof Kallistos (Calixtus) (f222) bereits Geweihte, die eine Ehe eingingen, nicht aus dem Klerus ausgeschlossen. Es seien zu dieser Zeit auch mehrmals verheiratete Männer in den Klerus aufgenommen worden. 87 Vgl. ed. Joannou, t. 1.2, 64. 88 Vgl. W. Selb, Orientalisches Kirchenrecht Bd. 1. Die Geschichte des Kirchenrechts der Nestorianer (Österreichische Akademie der Wissenschaften Philosophisch-historische Klasse, Sitzungberichte Bd. 388), Wien 1981, 140 f. - Heute wird auch in einigen anderen orthodoxen Kirchen um pastorale Lösungen für verwitwete Kleriker (vor allem dann, wenn diese kleine Kinder haben) gerungen. So hält man in der Armenisch-Apostolischen Kirche zwar grundsätzlich daran fest, daß die Weihe ein Ehehindernis begründet, doch kann von diesem dispensiert werden. Auch in einzelnen orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition wird gelegentlich verwitweten Klerikern kot' oíkovoiácu' eine zweite Ehe gestat­tet. Eine panorthodoxe Regelung wurde bereits auf der orthodoxen Konferenz von 1923 (Konstantinopel) seitens der rumänischen und der serbischen Kirche angeregt, steht aber weiterhin aus. Vgl. A.M. WlTTIG, Die panorthodoxen Beratungen von 1923 (Konstantinopel) und 1930 (Vatopedi), in Der Christliche Osten 44 (1989) 300-307. 89 Vgl. O. Braun, Das Buch der Synhados. Nach einer Handschrift des Museo Borgiano, Stuttgart 1890, 87 f. 90 Spätestens Timotheos v. Alexandreia hat 1 Kor 7,5 dahingehend ausgelegt, daß Ehepaare Samstag und Sonntag sexuelle Enthaltsamkeit üben müssen, „denn an diesen (Tagen) wird Gott das geistliche Opfer dargebracht” (Timotheos, Responsum 5 und 13: ed. Joannou, t. II, 242-243 ; 248-249). Dionysios v. Alexanreia wurde jedenfalls sekundär ebenfalls in diesem Sinn verstanden, doch ist die ursprüngliche Intention seiner Exegese (vgl. den aus dem Schreiben an Basilides extrahierten sog. c. 3: a.a.O., 13) nicht ganz eindeutig.- Im zweiten Jahrtausend läßt sich der Trend beobachten, das Sexualtabu auszuweiten: als verbotene Zeit für eheliche Beziehungen wurden neben Samstag und Sonntag auch die Heilige Woche (Karwoche) verstanden, oft generell Fest- und Fasttage, insbesondere die Quadragesima und z.T. sogar die beiden wöchentlichen Fasttage (Mittwoch und Freitag): vgl. Troianos, Túttoi, 264 f, bzw. Id., Epuc kql i'ópoc ctto Buícíi'tlo, in EmpéXeta Zmipoc N. Tpuiduoc, Athen 1997, 199 f; Levin, Sex and Society in the World of the Orthodox Slavs 900-1700, Ithaca 1989, 163 ff; 250 ff.

Next

/
Oldalképek
Tartalom