Hedvig Győry: Mélanges offerts a Edith Varga „Le lotus qui sort de terre” (Bulletin du Musée Hongrois des Beaux-Arts Supplément 1. Budapest, 2001)
MAYA MÜLLER: Schönheitsideale in der Ägyptischen Kunst
wirken Figuren wie die Gruppe des Herrschers mit dem ithyphallischen Amun (London BM EA 21) oder die Gruppe des stehenden Königs mit thronendem Amun (Turin 798) andeutungsweise fettleibig. 95 Eine literarische Parallele dazu findet sich im Totenbuch. Der Spruch 172 96 enthält eine lange, hymnische Beschreibung der Schönheit des vergöttlichten Verstorbenen, die jeden Körperteil einzeln preist. Darin wird eine ausgefallene Metapher gebraucht, die aber genau auf unseren Figurentyp passt: "Dein Hintern ist ein Doppelei aus Karneol, [...] Deine Brüste sind zwei Eier aus Karneol, die Horus mit Lapislazuli überzogen hat". Der Text beweist, dass diese Körperbildung im Neuen Reich bei Männern als ein Schönheitsideal galt. Es handelt sich zum einen um eine Steigerung des femininen Anteils, und zum anderen ist ein Anklang an das Lorenz'sche Kindchenschema, soweit es den ganzen Körper beschreibt, zu verzeichnen: Bei Kleinkindern ist der Kopf relativ gross und die Extremitäten relativ lang im Verhältnis zum kurzen, schmalen und rundlichen Rumpf, und der Körper weist ein dichtes Unterhautfettgewebe auf. Wiederum sind die genannten Merkmale bei Echnaton am ausgeprägtesten vorhanden, exemplarisch an der kleinen Curtis-Gruppe des Louvre. Aber auch bei Tutanchamuns Werken aus dem Grabschatz, auch den Bildern der Königin und der Gottheiten, sind die herzig wirkenden, leicht infantilen Proportionen auffallend. Was die Statuen von Königinnen und Prinzessinnen der Amarnazeit angeht, so erreicht die sinnlich-sensible Modellierung des Körpers hier einen unerhörten Höhepunkt, insbesondere die kurvig umrissene, weit ausladende Beckenpartie kann sicher als sexuelles Schönheitsideal gedeutet werden. Die Modellierung der grosszügigen elliptoiden Wölbungen von Hinterbacken, Oberschenkeln und Schamhügel ist schwelgerisch und zärtlich, so am Torso einer Königin im Louvre (E. 25409) und den Prinzessinnenstatuetten im University College London (002) und in Brooklyn (16.46). 97 Doch sei auch an dieser Stelle angemerkt, dass die Darstellung eines erotischen Schönheitsideals bestimmt nicht die einzige Bedeutung der ausserordentlich weiblich-attraktiven Körperformen der Königinnen und Prinzessinnen von Amarna war. R. Hari, Horemheb et la reine Moutnedjemet ou la fin d'une dynastie, Genève 1964, S. 266, Abb. 68 (London BM 21 ); Desroches-Noblecourt, a.a.O. (Anm. 92). Abb. S. 183 (Turin 768). Hornung, a.a.O. (Anm. 74), S. 354 (172, 72 und 79). Do. Arnold, The Royal Women of Amarna, (The Metropolitan Museum of Art), New York 1996, S. 104-107, Abb. 21-22: C. Aldred, a.a.O. (Anm. 91). Nr. 89.