Hedvig Győry: Mélanges offerts a Edith Varga „Le lotus qui sort de terre” (Bulletin du Musée Hongrois des Beaux-Arts Supplément 1. Budapest, 2001)
SIGRID HOEDEL-HOENES: Afrikanisches Gedankengut im Mundöffnungsritual
gestoßen. Soll das heißen, daß seine Seele im Schlaf sich vom Körper getrennt hat? Der jmj-jz hinter der Statue antwortet mit dem viermaligen Anruf "Mein Vater\" Der sm wird dann aufgeweckt und sieht sich den mittlerweile eingetretenen jmj-hnt gegenüber, das sind der bereits anwesende jmjw-jz, der hrj-hbt und der jmj-hnt. Der Sem berichtet, was er im Schlaf gesehen bzw. bewirkt hat. Die drei jmjw-hnt wirken als Gegenredner des Sem. Sie versuchen das Bewirkte mit Beschwörungen richtig und dauernd zu machen. Dabei ist offenbar wichtig, daß das Eingefangene (die Seele?) nicht wieder entgleitet und richtig und dauerhaft mit der Statue vereint bleibt, denn sonst könnte die Beseelung der Statue bzw. des Toten nicht wirksam werden. Auffallend ist, daß das normalerweise negative Einfangen (= gefangen werden) hier eindeutig positiv aufzufasssen ist. Die jmjw-hnt helfen durch ihre Worte beim Einfangen der Seelen, wie es offenbar auch die Spinne tut. Man darf annehmen, daß der Sem im Schlaf (Traum) auf die Seele seines Vaters stößt, die untrennbar mit der zu beseelenden Statue vereint werden muß. y Nach seiner Erweckung folgt die Beseelung der Statue. Dieser Teil des Mundöffnungsrituals könnte mythisiert und später mit dem Osirismythos verbunden worden sein. 10 Die Handlungen, die sich als "die Nacht des Schlafens" , "Schlafen des streitbaren Horus" oder Hakerfest der Grablegung während der Osirismystcrien anschließen, sind ein Bindeglied zwischen den beiden Ritualen. Der Name des Festes kommt wohl von ursprünglich Iß.k r.j ("komme zu mir" oder "steige zu mir herab"). 11 Dieser Aufruf wurde möglicherweise vom schlafenden Horus an die Seele des Osiris gerichtet. Auch hier spielt also der schlafende und träumende Sohn, der sich entsprechend im Sem verkörpert, eine Rolle, die der im Mundöffnungsritual analog ist. Denn in dieser Nacht des Schlafens findet offenbar ein Beseelungsakt der Gottesstatue statt - ähnlich wie im Mundoffungsritual. 12 ' So R. Hannig, Großes Handwörterbuch Ägyptisch-Deutsch, Mainz 1995, S. 1015. Otto, a.a.O. (Anm. 2) Teil II, S. 54 gibt: "(durch eine magisch wirksame Bewegung) zurechtmachen, vorbereiten." Helck, a.a.O. (Anm. 4) S. 29 "Kammerherren". 8 Dieser Übersetzungsvorschlag Ottos paßt sehr gut in den Kontext und darf als richtig angesehen werden. Das WB nennt diesen Begriff nicht. Hannig, a.a.O. (Anm. 6), S. 751 gibt für shtt hr "Spinnentier" als gesichert an. ' Otto, a.a.O. (Anm. 1) II, S. 5. Baly, a.a.O. (Anm. 3), S. 173ff. vergl. H. Altenmüller, Die Texte zum Begräbnisritual in den Pyramiden des Alten Reiches, ÄA24, Wiesbaden 1972, S. 168IT. vergl. E. Otto, Das Verhältnis von Rite und Mythus im Ägyptischen, Heidelberg 1958, S. 12. 10 Otto, a.a.O. (Anm. 1), S. lOff und 20f; B. George, Zu den altägyptischen Vorstellungen vom Schatten als Seele, Bonn 1970, S. 89. " W. Helck, Die Herkunft des abydenischen Osirisrituals, Archiv Orientálni 20 (1952), S. 72-85, bes. S. 77. 1 lannig, a.a.O. (Anm. 6), S. 488. 12 E. Otto, Osiris und Amun, München 1966, S. 40.