Csaplár Ferenc szerk.: Lajos Kassák / Reklame und moderne Typografie (1999)

Die Reklame

DIE REKLAME Nicht nur die Schmöcker der Ästhetik, auch wissenschaftli­che Soziologen und Volkswirtschaftler behandeln die Rekla­me mit Geringsschätzung. Der Ästhetiker sieht darin eine profane Äußerlichkeit, der Soziologe eine Destruktion des Handels und der demokratischen Lebensformen im allge­meinen. Es ist nicht sonderlich schwer, diesen zwei Einwen­dungen Thesen entgegenzuhalten: I. Das Schöne an sich ist eine leere Fiktion, weil Schön­heit eine bloß sekundäre Erscheinung ist und lediglich als Folge, als Eigenschaft dieses Dinges auftritt. Ist ein Ding an sich vollendet, zweckmäßig, so ist es unbestreitbar auch schön. Die Schönheit als Eigenschaft ist ein notwendiges Attribut jeder organischen und organisierten Einheit. Die Reklame als menschliches Produkt kann sowohl schön als häßlich sein, ihre Geringschätzung aus ästhetischen Grün­den ist daher keine kritische Stellungsnahme, sondern un­verantwortliche und unzeitgemäße Schmockerei. II. Die gute Reklame ist ästhetisch schön und gesell­schaftlich unentbehrlich. Sie ist ein Produkt des Handels, und der Handel ist eine Folge der erhöhten Lebensansprü­che des Menschen. Nichts ist leichter, als die heutige Rek­lame Europas als schlechthin geschmacklos und antisozial zu verdammen. Nicht anders jedoch verhält es sich mit dem heutigen, auf freier Konkurrenz beruhenden Kapitalismus. Daraus folgt nun nicht die endgültige Negation des Handels, sondern die Notwendigkeit, ihm eine soziale Grundlage zu geben. Zweifellos entfaltet Rußland heute eine weitaus um­fassendere kulturelle und wirtschaftliche Propaganda als unter dem Zarismus. Es hat die Reklamen nicht abgeschaft, sondern von egoistischen Privatinteressen befreit und in den Dienst der Gemeinschaft gestellt. Sie wirkte dadurch nicht nur im moralischen Sinne, sondern auch künstlerisch neu geboren. Die russische Reklame hat sich, vielfach in Übereinstimmung mit der amerikanischen, von der individu­ellen Grafik entfernt und erkannte ihren ureigenen Charak­ter: sie wurde einfach, ökonomisch, demonstrativ. In diesem Sinne ist die gute Reklame ein aktiv-sozialer Faktor unseres Lebens und ihre Erscheinungsform nicht schön oder häßlich, sondern wirksam oder unwirksam zu nennen. Ihre Ausdrucksmittel zwar sind, wie diejenigen der subjektiven Künste, Farbe, Ton und Form, doch unterschei­det sie sich ihrem Wesen nach auch vom Kunstgewerbe. Ein gelungenes Plakat kann auch zum Erlebnis werden, ein malerisch vollkommenes Bild kann unmöglich den Hunger nach Neuheit und Sensation erwecken. Das Publikum ge­nießt in der Gemäldeausstellung den passiven Ästhetismus der subjektiven Kunst, vor der Reklamsäule dagegen erregt es nicht das nebeneinander, sondern der Kampf der Plaka­te untereinander. Die gute Reklame, sie möge optisch (Plakat, Flugzettel, Prospekte, die in die Nacht blitzenden Lichtbuchstaben) oder akustisch (das Schrillen einer Sirene, Glockensignale) sein, tritt stets mit der Plötzlichkeit des Überraschenden auf den Plan; hinter ihr steht die Legion der auf den Markt gelangen­den Waren. Sie ist nicht die Vermittlerin eines außerhalb ih­rer stehenden Dinges, sondern der zwischen Erzeugung und Verbrauch stehende demonstrative Kraftkomplex. Die Grundelemente der guten Reklame sind Soziologie und Psychologie. Stimmungsnuancen und illustrative Redseligkeit wider­sprechen dem Wesen der Reklame, bringen es um die Promptheit der Wirkung, um die überzeugende Suggestion. Die gute Reklame ist nicht analytisch und definierend, sie ist synthetisch - Einheit von Zeit, Inhalt und Stoff. Diese ihre elementare Einfachheit und Reinheit läßt uns im Straßenge­wühl stillstehen und in ein Warenhaus treten, das uns vor einer Minute nicht einmal vom Hörensagen bekannt war, diese gibt uns das Buch eines nie genannten Autors in die Hand, weckt uns aus der Blindheit und Taubheit des Alltags, macht uns durch ihre elementaren Farben und dynami­schen Formgliederungen neugierig und entschlossen. Die Reklame ist ein charakteristischer Ausdruck des kulturellen und wirtschaftlichen Niveaus der Zeit. Die Licht­reklame der Großstadt, die über den Häusern strahlenden Transparente, die Glassäulen der Ringstraße mit ihren ins Auge springenden Buchstaben, ihren trotzigen Ausrufzei­chen sagen dem Fremden mehr und in einer objektiveren Weise, als der reaktionäre Wortschwall des dickleibigsten Baedeker: der fachgemäß entworfene Prospekt eines Wa­renhauses mit seinen geradgeschnittenen leicht zusam­menfaßbaren Buchstaben, der richtigen Raumverteilung von Licht und Dunkel, ist als ruhiger und einfacher Gegen­stand, unendlich mehr anspruchs- und vertauenserwecken­d. Ein unerwartet erschallendes Hornsignal erhält uns eine Autofabrik oder ein Kino, vor dem wir diesen „sinnlosen", aber verblüffend einfachen und suggestiven Ton vernah­men, bis an unser Lebensende im Gedächtnis. Der Reklametypus unserer Zeit, gekennzeichnet durch die zunehmende Harmonie der Elemente, die markante Einfachheit und die Leichtigkeit der technischen Herrstel­lung, schreitet - nicht einer ästhetischen Zielsetzung halber, sondern im Zeichen der objektiven Kraft - in der Richtung der Entwicklung der Menschheit fort. Die Reklame ist angawandte Kunst, Reklame schaffen heißt sozialer Künstler sein. PÁSMO, [BRNO] 2. JG. NR. 6-7 (1926) S. 107; KORUNK [UNSER ZEITALTER], [KLAUSENBURG] NR. 4, 1926, S. 299-300; TISZTASÁG KÖNYVE. BP. 1926, S. 82-84; KUNST UND VOLK, [WIEN] 4. JG. NR. 8 (APRIL 1930) S. 237-238; DAS WERK, [ZÜRICH] 1926, NR. 7, S. 228 10

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