Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Ilona Sármány-Parsons: Symbiose und distanz

besichtigt werden. Die Ungarn mussten allerdings mit anderen wichtigen Ausstellungen konkurrieren, wenn sie die Aufmerksamkeit des Publikums wecken wollten, denn einige Tage zuvor hatten die Frühjahrsausstellungen im Künstlerhaus,31 im Hagenbund und in der Secession32 eröffnet. Bei dieser Konkurrenz hatten die ungarischen Künstler kaum eine Chance, dass die Presse und das Wiener Publikum auf sie aufmerksam wurden. Zudem war der Zeit­punkt auch aus politischen Gründen überaus ungünstig, denn einige Tage zuvor war der Konflikt zwischen dem ungarischen Parlament und dem Kaiser in Fragen der gemeinsamen Wehrkraft ausgebrochen. Die Wiener Presse griff den ungarischen Standpunkt vehement an, und die Ablehnung der Ungarn schlug in der Stadt des ausgespro­chen ungarnfeindlichen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger hohe Wellen. Vielleicht ist es dieser unglücklichen zeit­lichen Überschneidung zu verdanken, dass sich insgesamt nur drei Zeitungen knapp mit der Eröffnung der Ausstel­lung befassten und auch dies war eher dem Umstand zuzuschreiben, das Kaiser Franz Joseph den Salon Pisko am Tag der Eröffnung besucht hatte. Die Neue Freie Presse - die populärste Tageszeitung mit der höchsten Auflage - schrieb in der Rubrik „Kleine Chronik“ über das Ereignis und zitierte die Begrüßungsworte des Kaisers.33 Gustav Pisko führte Franz Joseph in die eleganten Ausstellungsräume im oberen Stockwerk, wo ihm als Erster Professor Béla Lázál (sic!)34 vorgestellt wurde, auf des­sen Initiative diese Gruppenausstellung zustande gekommen war. Danach setzte der Herrscher die Unterhaltung in ungarischer Sprache fort, und es wurden ihm auf seinen Wunsch hin alle anwesenden Künstler vorgestellt, jeder vor seinen eigenen Werken. Franz Joseph gefielen sowohl die Bilder von István Csók als auch die vier Landschaftsgemäl­de von László Paál sehr, danach wandte er sich an Fülöp László, der ein Porträt des deutschen Botschafters in Peking ausgestellt hatte. Für besonders gelungen hielt der Kaiser das Bild Waldpfad von László Kézdi Kovács sowie die Ar­beiten von Kernstok, Sándor Bihari, Gyula Kann, Gusztáv Magyar Mannheimer und Ödön Tull, aber auch die Skulp­turenskizzen von Miklós Ligeti. Nachdem sich der Herrscher alle Bilder angesehen hatte, äußerte er nochmals sein Gefallen und betonte, wie sehr er sich freue, ungarische Kunstwerke in Wien sehen zu können, woraufhin die an­wesenden Maler ihn hoch leben ließen. Der Artikel betont, dass der Besuch eine halbe Stunde gedauert habe. In An­betracht dessen, welch volles Tagesprogramm Franz Joseph hatte35 und dass die Ausstellung nicht im offiziellen Künstlerhaus, sondern in einer Privatgalerie veranstaltet worden war, bedeutete dies eine überaus beachtenswerte politische Geste für die Ungarn.36 88

Next

/
Oldalképek
Tartalom