Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Studien - Ilona Sármány-Parsons: Symbiose und distanz
Beginn der I 860er Jahre Gegenstand häufiger Diskussionen war7, warf als Erstes Ödön Lechner (I 845-1914) das Problem auf unumgängliche Weise auf und wurde zum „Erfinder“ des sogenannten magyarischen Stils. Die Modernisierungswelle der neunziger Jahre wurde außer von Lechner nun bereits auch von einer neuen Generation getragen, doch die Zeit der mutigen Erneuerung setzte dann tatsächlich erst Mitte des Jahrzehnts ein. Die internationale Welle des Jugendstils war überall mit der erstarkenden Suche nach nationaler Identität und dem häufigen Wunschtraum der Nationalismen verbunden, einen eigenständigen nationalen Stil zu erschaffen. Zu dieser Zeit trennte sich die Stilsprache der experimentierenden Wiener und ungarischen Architekturwerkstätten. Die Österreicher wollten einen österreichischen, das heißt, wie die Wiener sagten, einen .Wiener Stil“ erschaffen, und die Ungarn einen ungarischen.8 Antrieb war die Suche nach dem Andersartigen, zugleich aber wollten beide Lager auch unbedingt modern, also zeitgemäß sein, wodurch trotz allem eine gewisse Verwandtschaft gegeben war. Die Experimente entwickelten sich in Richtung rationaler Raumgestaltung und Raumorganisation, doch waren sie gleichzeitig auch darauf ausgerichtet, eine auf lokale Traditionen zurückgreifende Ornamentik und Formensprache zu erschaffen. Ihre beinahe kontrastartig gegensätzliche Ornamentik und die abweichenden Präferenzen hinsichtlich der geometrischen und organischen Massengestaltung führten in der Wiener Schule Otto Wagners und in den Budapester Baubüros bei den Architekten die im Umfeld von Ödön Lechner arbeiteten, zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Die Österreicher warfen nahezu anderthalb Jahrzehnte keinen Blick nach Budapest hinüber, und die Ungarn gingen abgesehen von einigen Ausnahmen nicht mehr nach Wien, um dort Architektur zu studieren. (Ausnahmen gab es natürlich, so keinen Geringeren als etwa István Medgyaszay, der zur Schule Otto Wagners gehörte.) Auf der Ebene der Baumeister und an den Arbeiten einiger weniger bekannter Architekten lassen sich zahlreiche Motive und architektonische Lösungen finden, die an die kubische geometrische Welt der Wiener Sezession und der Wiener Werkstätte sowie etwas später auch an die eher zurückhaltende, puritanische Eleganz der Fassaden von Adolf Loos erinnern (z. B. Béla Lajta: das Rózsavölgyi-Haus aus dem Jahr 191 I). Die namhaften ungarischen Architekten waren - ebenso wie ihre Zeitgenossen im Ausland - immer auf der Suche nach individuellen Lösungen, geleitet vom Wunsch, die ursprüngliche Inspiration unbedingt neu zu gestalten, wodurch sich die konkreten Vorbilder häufig nur schwer bestimmen lassen. Die gelungenen architektonischen Synthesen des Wiener Stils und der ungarischen nationalen Stilexperimente entstanden nach 1907/08 als sich die politischen und emotionalen Reibungen zwischen den beiden Reichshälften der Monarchie gewissermaßen entspannten. 79