Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Wien-brevier - Gyula Krúdy: Die rote postkutsche fährt los

dieser Stadt Herren sein können, wie es sich kein zweites Herrscherhaus auf der Welt erlauben kann - all das er­füllte Alvinczi mit Andacht, denn nur eine einzige Sache machte auf ihn Eindruck: das große Herrenleben (...) Dabei war in der Innenstadt allgemein bekannt, daß er auf der Straße beinahe sämtliche karierten Röcke bemerkte und daß er seine diesbezüglichen Interessen nur geheim hielt. Man wußte, daß er aus seiner Kutsche hinausspähte, alle Passanten kannte, sich freute, wenn er zufällig den Vornamen einer dicken Schönen zu hören bekam, ja, daß er den Frauen gegenüber die gleiche Art hartnäckiger Kurutzenfeindschaft hegte wie gegen Franz Joseph, auf den Alvinczi nur böse war, weil sich der alte Herr mit ihm nicht angefreundet hatte. Käme der Alte einmal in den Gasthof, um mit Alvin­czi zu Mittag zu essen, so wäre die Lage gleich anders. Aber Franz Joseph verkehrte zu dieser Zeit nur mehr im Famili­enkreis, zudem war er noch viel hochmütiger als Alvinczi, denn er glaubte, Europas allererster Kavalier zu sein. So kam es dann, daß der Freundeskreis des reichen Alvinczi größtenteils aus jenen Wiener Herren bestand, die auf Franz Joseph aus gewissen Gründen ebenfalls »böse« waren. Ihr Alter, ihre Armut, zum Großteil ihre beträchtlichen Schulden hätten ihnen nahegelegt, die reine Luft eines Dorfaufenthaltes zu genießen, doch machten sie keinen Schritt vom Wiener Glacis, da sie dem Kaiser grollten und leidenschaftlich und gierig jeden Klatsch zusammentrugen, der aus dem Hof kam, so als würde es ausschließlich von ihnen selbst abhängen, ob sie an den Ereignissen des Hoflebens teilnähmen oder nicht. Im roten Garibaldi-Hemd saß also Alvinczi in seinen Zimmern, vergaß Spiel und Frauen, und fragte jeden Tag, was wohl der Kaiser in der Hofburg trieb. (Wenn der harte und düstere Herr nur ein wenig höflich war, fragte er vielleicht genauso nach Alvinczi.) Dann kontrollierte er die verschiedenen Unternehmungen des Kaisers und hörte sich kopfschüttelnd die neuen Nachrichten an. Einmal erfuhr er, daß der Kaiser von einem quälenden Husten aus dem Schlaf gerissen würde. Obwohl zwischen den beiden Männern, wie schon gesagt, kein gutes Verhältnis bestand, bat Alvinczi dringend um das Urteil der berühmtesten Professoren über die Krankheit des Franz Joseph. Wie der Herbstwind die Blätter über die Wiener Straßen treibt, so flogen Fetzen des Klatsches durch die Stadt, und auf diese Weise kam ein anderes Mal Alvinczi in den Besitz einer seltsamen Nachricht. Es ging darum, daß eine gewisse Hofschauspielerin, von der man allgemein erzählte, sie sei eine persönliche Be­kannte von Franz Joseph, in Geldschwierigkeiten geraten war. Entrüstet schüttelte Alvinczi den Kopf, während seine Freunde, die dem Kaiser ohnehin grollten, nicht mehr in aller Ruhe Kaffee trinken konnten. Nachmittags brachten sie Alvinczi die verschiedensten Nachrichten aus der Stadt, und sein Gesicht verfinsterte sich zusehends. »Der Kaiser läßt seine Bekannte zwar nicht hungern, aber Franz Joseph hat keine Ahnung vom Wert des Geldes. Unlängst hat er der sehr ehrenwerten Dame ein fürstlich teures Porzellanservice geschenkt, aber für ein Gestell, auf 203

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