Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Wilhelm Droste: Das kaffeehaus der donaumonarchie

sitzen zu bleiben und kostenlos immer wieder neu gefüllte Gläschen Wasser zu konsumieren, ohne auch nur andeu­tungsweise von einer schroffen Aufforderung belästigt zu werden, endlich wieder etwas zu bestellen, dies wird das Geheimnis des Wassergläschens bleiben - bis ans Ende der Zeit. Auf jeden Fall gehört es zu den untrüglichen Zere­moniezeichen der Wiener Kaffeehauswelt. Wie auf das Wasserglas, so kann man sich bis auf den heutigen Tag geradezu blind darauf verlassen, in Kaffeehäusern von Männern bedient zu werden. War die ganze Institution im 19. Jahrhundert noch eine geradezu reine Männer­angelegenheit, wo der Auftritt eines weiblichen Gastes für diesen unbedingt rufschädigend ausfiel, so öffneten sich mit dem neuen Jahrhundert die Tore. In Konditoreien und Kaffeegärten war der weibliche Angriff auf die männlichen Kaffeebastionen schon lange erprobt, der dann erfolgreich in die Kaffeehäuser Übergriff. Erotik war nun nicht mehr allein auf die Fensterplätze verwiesen. Auch die in geradezu feudaler Kompetenzhierarchie arbeitende Kellnerschaft spiegelt das alte, monarchisch Öster­reich, wie die hohen, weiten und oft prächtig ausgestatteten Räume ganz offensichtlich in der Zeit ihres Entstehens versuchten, architektonisch die Clubs und Casinos des Adels und hohen Militärs an Glanz und Großzügigkeit zu erreichen, wenn nicht gar zu überbieten. FHäufig wurden dann gerade die Kaffeehäuser zur wichtigsten Begegnungs­stätte der besseren und ehrgeizigen Gesellschaft, von Adel, Militär und den verschiedensten Gruppierungen des Bürgertums, vom reichen Großbankier bis zum völlig verarmten Redakteur einer sozialistischen Provinzzeitung, vom Richter bis zum notorischen Hochstapler und Heiratsschwindler. Das Kaffeehaus war ein überaus erfolgreiches Instrument der Monarchie, verschiedenste Gruppen gesellig aneinander zu binden. Wurde ein Offizier aus Vorarl­berg ins östliche Galizien, nach Brody etwa berufen, so waren die Quadratmeter des Kaffeehauses eine überaus wichtige, geradezu rettende Bastion vertrauter und daher ermutigender Geselligkeit. Von hier aus konnte er vor­sichtige Bande an eine Landschaft knüpfen, deren Sprache er nicht verstand. Er las die deutschsprachigen Zeitungen, vielleicht sogar die seiner Heimatstadt, bestellte den Kaffee nach seinem Geschmack, sammelte Informationen über den Ort, in den es ihn verschlagen hatte, beobachtete durchs Fenster den Menschenschlag der Region, knüpfte erste Kontakte und fand ein minimales Zuhause in einer maximal fremden Welt. Er wird schnell schon zu einem bekann­ten Gesicht, vielleicht sogar Stammgast und steht nicht mehr ganz so auf verlorenem Posten, wie er dastünde, gäbe es nicht diesen haltenden Anker zur Welt. 198

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