Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Júlia Lenkei: Untergetaucht in Wien - Béla Balázs

Der wichtigste Schauplatz des Wiener Exillebens - Agora, Heiligtum, Bibliothek, Akademie, Universität, Werkstätte, Börse, Ladentisch, Nest, Asyl - aber war das Kaffeehaus. Ein für den ungarischen Städter in vertrauter Weise bekann­ter, mangels erträglicher Wohnverhältnisse für den alltäglichen Aufenthalt notwendiger Schauplatz, das für die Kommu­nikation vor der Zeit des Rundfunks für die Emigranten unersetzliche Medium, ein mit seiner charakteristischen Halb­öffentlichkeit7 besonders geeignetes Terrain für die sich häufig mit falschen Papieren dort aufhaltenden Menschen. József Nádass zählt manche namentlich auf, wobei er den dortigen Lebensstil in sensibler Weise verdeutlicht: „In wie vielen Kaffeehäusern hatten wir Emigranten doch gesessen, wir trauerten und freuten uns, planten, diskutierten und lösten alle Probleme der Welt. Zu Urzeiten waren das Café Museum, das Imperial, das Central und das Künstler-Café in Mode. Dann beherbergten das Beethoven, das Café Arkaden (...), das Schönbrunner Schloss, das Atlantis, der ‘Heimklub' über dem Operncafé, der Herrenhof, das Schottentor, das Colosseum in der Nussdorferstraße unsere Versammlungen. Doch schlugen wir unsere Zelte auch im Graben in der Innenstadt, im Mozart und später im Central auf. Sehr viel Einnahmen brachten wir keinem der Orte. Die meisten Emigranten saßen bei einem ‘gewöhnlichen Schwarzen’, den sie in schrecklichem Deutsch bestellten, bei diesem dünnen, billigen Abwaschwasser von nachmittags bis Mitternacht, aber es waren auch viele, die sich nur am Tisch eines Bekannten niederließen, der etwas Bescheidenes bestellt hatte, und ihr Glas Wasser leerten, und wenn der Ober sich erdreistete zu fragen, was wir wünschten, ant­worteten wir verschämt oder kämpferisch .Später'. Allmählich hießen wir .Fräulein Später’ und .Herr Später'."8 Die Gruppen setzten sich nach sozialer Situation und politischen Ansichten zusammen - danach, ob die Mitglieder Anhän­ger der Kommune waren beziehungsweise als deren Opposition links oder rechts von ihr standen -, doch bedingte die Zusammensetzung gleichzeitig auch der geografische Aspekt. In den Kaffeehäusern versammelten sich einzelne Gruppen von Arbeitslosen in der Hoffnung auf eine geeignete Möglichkeit, doch fanden hier auch Besprechungen statt, man machte Geschäfte, redigierte Zeitungen, organisierte Aktionen. Hier frischten diejenigen, die sich mehr zu Hause fühlten, alte Bekanntschaften wieder auf, und hier entstanden neue Beziehungen. Zwischen den Erfolgreichen, die sofort Arbeit und Publikationsmöglichkeiten bekommen hatten und sich ihren Unterhalt verdienen konnten, sowie den Dahergelaufenen bildeten die jungen Menschen eine breite Schicht des Übergangs, die von legalen Geschäften bis hin zum Handel auf dem Schwarzmarkt, von vollkommen sinnlosen Aufgaben bis hin zu den extravagantesten Wünschen jeden Auftrag annahmen. In Erinnerungen wird erzählt vom Knochenschnitzen und Briefmarkenhandel, vom Hausie­ren mit Paprika und Schildkrötenimport, vom Handel mit Schuhcreme und dem Verkauf von Kleiderbügeln... 142

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