Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Julianna WernItzer: Wege durch die lücken des unsichtbaren

die Tegetthoff und man fand die Flasche, in der sich mein Brief befand, ein paar Zeilen nur, daß ich am Leben und nicht zugrundegegangen sei. Vielleicht auch konnte ich von hier wieder auf das Schiff zurückfliehen. Vielleicht fand ich einen Weg, die Welt von meinem Schicksal zu benachrichtigen. Vielleicht - wer konnte wissen, was noch alles geschah?“ (Jókai, 42) Ransmayr verhält sich zum Abenteuer in einer anderen Weise und befindet sich in einer anderen Art von Dialog mit der Vergangenheit. In seinem Hinweis merkt er an, dass die Figuren des Romans, wirkliche und fiktive Gestalten aus Vergangenheit und Gegenwart seien, mit ihm gemeinsam Autoren des Buches. Die Hervorhebung der Gasttexte, die Kursivschreibungen sowie die Angabe der Quellen verstärken die relativierende Intension des österreichischen Autors, der in der Vervielfältigung des Ich-Erzählers den Ich-Verlust konstatiert und die Frage nach der Wirklichkeit stellt. Der Bericht des Zeitgenossen Julius Payer vom Nordpol zeigt Verwandtschaft mit der Schreibart Jókais, zu­gleich sind die Zitate Payers in Ransmayrs Werk wichtige Elemente der Kontrapunktion, die eine archaische, fremd­artige Färbung erhalten: „Wie jede Entwicklung nur allmählich fortschreitend zu größeren Zielen reift, so hat sich auch die schwache kosmogenetische Dämmerung nur langsam ausgebreitet, von der homerischen Erdscheibe aus über das Land der Hyperboräer; erst nach Jahrtausenden überwand der Wissensdrang die Schrecken des Nordpols, mit welchen die Araber schon Sibirien erfüllt dachten.“ (Ransmayr 48) Zugleich relativiert Ransmayr das Verhältnis zwischen den verschiedenen Textqualitäten mit einem Zitat von Amundsen: „Für den Entdecker ist das Abenteuer nur eine unwillkommene Unterbrechung ernster Arbeit." (Ransmayr 193). Die Erfahrung bei der Lektüre eines Abenteuerromans ruft beim Leser nicht nur eine Erwartung, eine Einstimmung hervor, sondern lässt auch eine ge­wisse narrative Logik erwarten. Sowohl Jókai als auch Ransmayr schreiben die Geschichte neu, indem sie ein eige­nes fiktives Universum schaffen. In den früheren Epochen der Gattung (so auch bei Jókai) sowie bei bestimmten heutigen Erscheinungsformen derselben bietet eine auf die räumliche und zeitliche Ordnung der Handlung sowie auf die Zusammenhänge ausgerichtete narrative Lesart eine erschöpfende Deutung. Im Fall von Ransmayrs Text, der auf Selbstreflexion, Textübernahmen, Einschüben und Zitaten aufbaut, rücken die metanarrativen Bezüge sowie die intertextuellen Zusammenhänge in den Vordergrund. Die Wechsel in Sprachstil und Perspektive schaffen inner­halb der eigenen Geschichte eine Situation der Unsicherheit. Nicht nur das Subjekt des Romans, auch seine Sprache dekonstruieren sich in Die Schrecken des Eises und der Finsternis. 110

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