Antall József szerk.: Orvostörténeti közlemények 89-91. (Budapest, 1980)
TANULMÁNYOK - Birtalan Győző: Avicenna Kánonja és az európai orvostudomány
Im Kanon werden die seit Jahrhunderte gesammelten richtigen klinischen Erfahrungen mit dem System der Theorie in ein harmonischen Gleichgewicht gebracht, wie es bis dahin unbekannt war. Dieses Gleichgewicht wurde von Epigonen durch selbstbezweckte Spekulationen und Klügelein immer mehr zerstört. Von den ausgezeichneten klinischen Beschreibungen sollen hier nur einige stehen. Er gibt 16 Arten der Kopfschmerzen bekannt. Reichlich charakterisiert er die komplizierten Symptome der chronischen Leberentzündung und Leberfunktion-Insuffizienz. Er beweist eine Geläufigkeit in der Diagnostik, welche die Darmkolik bzw. Ileus, und Nierenkrämpfe voneinander abgränzt. Er erwähnt, dass das „Geschwür" des Herzens (das ein Infarkt sein könnte) oft in den Wehen um die linke Brustwarze zum Ausdruck kommt. Er bestimmt das Schweratmen asthmatischen Charakters. Die Pulsarten werden sorgfältig voneinander getrennt, ihre Gründe und Prognosen analysiert. Aussergewöhnlich detailliert und anatomisch sorgfältig differenziert steht das Kapitel über das Auge, das übrigens das meist bearbeitete Fachgebiet der Araber war. In der Gruppe der „Fieber" des vierten Buches werden die wichtigsten Infektionskrankheiten (Pest, Blattern, Typhus-Arten) bzw. die Varianten der Malaria behandelt. Von den heute ätiologisch schon abgegrenzten Krankheiten werden jene, die mit akuter Temperaturerhöhung erscheinen als Modellkrankheiten der Humoralpathologie angesehen. Auch der Kanon widmet eine besondere Aufmerksamkeit der Krisis, welche die Auflösung oder Verschlimmerung des Krankheitsverlaufes entscheidet. In diesem Buch kommen auch noch Fragen der Hautkunde und Chirurgie vor. Das fünfte Buch enthält Heilmittel, das komplizierte Verfahren ihrer Herstellung, und macht den Wirkungsmechanismus bekannt. Avicenna stellt mehr als 600 Drogen vor. Eine besondere Aufmerksamkeit widmet er den Herzstärkungsmitteln, Schmerzlinderungsmitteln, Gegengiften und Mitteln zur Beförderung des „seelischen Gleichgewichtes". Die Therapie des Avicenna zeigt in erster Reihe internistischen Charakter. Wo ein chirurgischer Eingriff angebracht ist, macht er Vorschläge ohne die technischen Einzelheiten detailliert zu schildern. Dennoch lassen sich die umfangreichen, auf grosse Erfahrung ruhenden Kenntnisse des Verfassers des Kanon bemerken. Neben den erwähnten Beispielen bezeugen das noch die Kapiteln über Wundheilung, Behandlung der Brandwunden, Schwangerschaftsbetreuung oder Heilung der Vergiftungen. Der Kanon des Avicenna wurde im europäischen Mittelalter als medizinisches Grundwerk benützt. Sein reifes klinisches Material, sein durchdringender Rationalismus musste verständlicherweise jene feste Überzeugung hervorrufen, dass diese Lehre unübertreffbar und vollendet sei. Die Auslegung und der Vergleich der reichhaltigen, vielseitig beleuchteten Fakten des Kanon bot aber auch viele Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Diskussionen und Bearbeitungen in Dissertationen. Die Wirkung des Werkes von Avicenna war bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts lebendig. In den folgenden Jahrzehnten verbreitete sich aber die Meinung, dass die Studenten der Medizin den Kanon nicht mehr genügend kennen. In jener Zeit hat der Kanon seine ursprüngliche Lebensberechtigung schon verloren. Seine theoretischen Grundlagen, die aristotelische Physik und die antike Säftlehre sind schwer erschüttert worden. Die anatomischen und physiologischen Entdeckungen von prinzipiellem Charakter begründeten eine neue Medizin. Die deduktive Methode, die mit Grundwahrheiten argumentierte, war auch nicht mehr zeitgemäss, denn die Zukunft gestaltete sich aufgrund vorurteilloser induktiver Untersuchungen. Das geistige Leben Europas emanzipierte sich und ertrug weiterhin keine Herrschaft der absoluten Autorität. Wie aber die grosszügigen Meisterwerke der mittelalterlichen Architektur in der Ästhetik der Raumgestaltung weiterlebten, kam auch die innere Struktur des Werkes von Avicenna im Aufbau des Lehrstoffes der späteren Medizin zur Geltung. Die harmonische Einheit der allgemeinen theoretischen Propedeutik und der klinischen Disziplinen, wie sie sich im Kanon gestaltete, diente als Beispiel für die Lehrbuchverfasser und Dozenten der späteren Zeiten. Dasselbe ist von der sachgemässen Bearbeitung der Themen und logischen Schönheit des Gedankenganges zu sagen.