Kolba H. Judit: Liturgische Goldschmiedearbeiten im Ungarischen Nationalmuseum. 14.-17. Jahrhundert. (Catalogi Musei Nationalis Hungarici. Series Mediaevalis et Moderna 1; Budapest, 2004)

DIE LITURGIE UND IHRE OBJEKTE

Charakteristisch für die Kunst der Renaissance sind die getriebenen und dann ausgeschnittenen Flächen: Blu­men und Engelköpfe wechseln einander vor allem auf Kuppakörben ab (Nr. 56, 59, 63). Gleichfalls getrieben hat ein unbekannter Meister den Fuß jenes Kelches, auf dem in den sechs Pässen die Werkzeuge der Passion ­die sog. „arma Christi" - zu erkennen sind. Sie waren eine beliebte Verzierung im 17. und 18. Jh.: graviert oder getrieben sind oft die auf die Leiden Christi hinweisen­den Gegenstände dargestellt. Leider gibt es in unserem Material keinen weiteren ähnlichen Kelch, doch besitzt das Museum ein prächtiges Standkreuz (Nr. 113), auf dem diese Motive noch detaillierter zu sehen sind. Dar­über hinaus sind die Rückseiten kleiner, als Schmuck getragener Brustkreuze 3 mit den Requisiten des Leidens Christi geschmückt. In ingeniöser Treibarbeit wurden 1640 die 18 Plat­ten des Brözer-Kelches (Nr. 56) geschaffen: sie zeigen die Geschehnisse der Passion mit einer Freude am Detail, wie sie im europäischen Material beispiellos ist. Brözer trieb die Platten verschiedener Größe einzeln, was bei der Weichheit des Goldes hohe Sorgfalt verlangte. In der zweiten Hälfte des 17. Jh. begann man in der Goldschmiedekunst die Flächen profaner Gefäße ­Humpen, Pokale, Teller - mit großen, getriebenen Blu­men zu schmücken. Dies erscheint auch auf den Kel­chen, in Details - am Rand des Fußes, auf dem Nodus (Nr. 62), eventuell nur auf dem Kuppakorb (Nr. 55), oder die ganze Fläche des Kelches bedeckend (Nr. 60). Eine typische Änderung der Barockzeit erscheint be­reits auf dem Kelch Nr. 66: statt der früheren, kleineren Bilder reihen sich getriebene Szenen auf dem Fuß und Korb des Kelches aneinander, je drei Bilder biblischer Thematik, meist Szenen aus dem Alten und Neuen Te­stament mit identischer Bedeutung. Diese Verzierung ist ein sehr charakteristischer Schmuck der Kelche des 18. Jh., doch befinden sich diese schon in der Neuzeit­sammlung des Museums. Auch die Form des Kelches war im Laufe der Jahr­hunderte vielen Veränderungen unterworfen. Im Grun­de genommen blieb sich die Konstruktion gleich: Auf das Rohr, das unten an die Kuppa angelötet wurde, zog man den Nodus zwischen zwei Schaftringen auf und befestigte unten den Fuß daran (Taf. 1 ). Doch hat sich im Laufe der Jahrhunderte die Form von Fuß, Schaft­ringen und Nodus verändert. Später wurde auf der Kuppa ein dekorativer Korb befestigt, der reiche Fläche für weitere Verzierungen bot. In Ungarn sind keine Origi­nale aus romanischer Zeit erhalten geblieben, nur im Inventarium von Pannonhalma - zwischen 1083 und 1195 — werden 13 Kelche aufgeführt, von denen drei mit Edelsteinen geschmückt waren. Einzig der kleine Silberkelch des Erzbischofsgrabes von Kalocsa vom An­fang des 13. Jh. ist erhalten geblieben, der aber nicht die übliche Größe hat, sondern ein kleiner Reisekelch ist. Die frühesten Kelche aus ganz Ungarn befinden sich im Nationalmuseum, sie stammen aber erst aus dem 14. Jh., somit sind sie die frühesten Stücke dieses Katalogs. Sie vertreten den Übergang von den romanischen zu den gotischen Stilmerkmalen: sie haben eine breite Kuppa, noch keinen Kuppakorb, ihr Fuß ist rund oder kaum seg­mentiert, und sie sind zumeist unverziert. Bis zum 15. Jh. verändert sich die Kelchform stark: ihre Proportionen werden schlanker, auf den kleineren Kuppabechern wer­den die reich verzierten, mit Lilienkranz gerahmten Kuppakörbe nach und nach allgemein, und es erschei­nen die Majuskel- oder Minuskelinschriften. Zu dieser Zeit finden sich erstmals Kelche mit gravierten Heili­genfiguren, die dann das ganze Jahrhundert hindurch vorherrschen, und die gravierten, oft in Email eingebet­teten Inschriften und Buchstaben auf den Schaftringen. Auf den Kelchschaft wird ein schlanker, flacher Nodus gesetzt, an den verzierte Zapfen (rotuli) angelötet wer­den. Schöne Ausnahmen davon bilden nur zwei Kelche mit Kapellennischen auf dem Nodus: der Kelch aus Torna (Nr. 9) und der Nyári-Kelch (Nr. 25). Im 16. Jh. erscheint auch in Ungarn der Renaissance­Schmuck auf den Kelchen, aber die Form bleibt fast das ganze Jahrhundert hindurch unverändert: der Sechspass­fuß bleibt erhalten, die Kuppa bleibt schlank und ent­spricht auch in ihren Proportionen nicht den sonstigen europäischen Renaissance-Kelchen. Die Stilmerkmale erscheinen in Ungarn fast mit hundertjähriger Verspä­tung, die echten Renaissance-Elemente werden erst langsam verwendet, als im Westen bereits der Barock­stil seinen Siegeszug antritt. Auch hinsichtlich seiner Form ist der schon mehr­mals erwähnte Brözer-Kelch unvergleichlich (Nr. 56), der einzige Kelch der Sammlung, der mit Sicherheit einen Deckel hatte: ein engerer Rand innerhalb des Mundrandes zeigt die Auflage des Deckels an. Leider kam der Kelch schon ohne Deckel ins Museum. Eine bedeutendere Veränderung in der Form lässt sich in der Mitte und mehr noch in der 2. Hälfte des 17. Jh. nachweisen: Die Kelche haben einen kleineren Fuß, der wieder zur runden Form zurückkehrt, und - als Wich­tigstes: der Nodus bekommt eine völlig neue Form, er ist gegossen, im allgemeinen birnen- oder vasenförmig und wird mit den Elementen des Fußes oder der Kuppa verziert (Nr. 59, 60, 62, 63, 64, 66, 67).

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