KOZÁKY ISTVÁN: A HALÁLTÁNCOK TÖRTÉNETE II. / Bibliotheca Humanitatis Historica - A Magyar Nemzeti Múzeum művelődéstörténeti kiadványai 5. (Budapest, 1944)
Erster Abschnitt: Germanische Weltanschauungs-elemente im Totentanz
allgemein-literarischen Betrachtungen wähle, ist, dass ich einerseits beim ersten Anblick dieser Darstellung in ihr mit Begeisterung den symbolischen Inbegriff der höchsten Ideen über Literatur, Kunst und Menschwerdung entdeckt hatte, und weil ich es anderseits auch jetzt noch recht ernst bezweifle, dass es sich hier unbedingt um eine Illustration des erwähnten Telephos-Mythus handeln sollte. Darauf will ich gar nicht eingehen, dass sich bei dieser letzten Annahme so mancher Zug des Bildes nicht erklären lässt. In der Konstruktion der Darstellung glaube ich etwas ganz anderes entdecken zu dürfen 1 Links unten ist also die liebevolle Szene mit dem Säugling, den eine Hirschkuh stillt, die ihr linkes Hinterbein zart emporhebt und ihren Schädel zurückwendend und den linken Fuss des Kindes freundlich leckend, dem Kleinen eine Linderung in seiner Verlassenheit schaffen will. Daneben im Vordergrund, auf wolkenartig gewölbten Felsen sitzend, sieht man einen schwarzen Adler, der, seine mächtigen Flügel lüftend, sich zum ersten Flug anschickt und sich mit einem Sprunge soeben erheben will. Neben ihm nach rechts, dem Zuschauer halb den Kücken zeigend, ein schwarz gefärbter, mit mächtigen Muskeln riesenhaft gezeichneter, nackter Mann, der sein mit einem Lorbeerkranz und mit flatternden Bändern geschmücktes Haupt halb gesenkt nach links dreht, um scheinbar die Szene mit der Hirschkuh zu betrachten. Seine Haltung ist die eines Ruhenden. Unter seinem linken Arm befindet sich ein Köcher mit Pfeilen, ein Bogen und etwas wie ein Tierfell. Er steht auf seinem rechten Fuss und sein linkes Bein hält er gelassen, abgespannt in Ruhestellung nach rückwärts zu. Neben seinem rechten Fuss, auf einem steinernen Piedestal sitzt ein Löwe mit feurigen Augen, mit gierig geöffnetem Rachen und wild gefletschten Zähnen, zum Sprunge bereit. Zu Häupten des Mannes erscheint in den Lüften ein beflügelter Genius, sich ganz nahe zu den Ohren des Mannes beugend, in der linken Hand einen Palmzweig bringend, und mit der Rechten vorwärts weisend, wie auf eine noch folgende Szene, wie auf etwas Kommendes. Und dort, wohin dieser Genius hinweist, in der Mitte des Bildes, somit auch im Mittelpunkt der ganzen Darstellung, sitzt die Hauptperson : ein wundervoll, herrlich gezeichnetes Mädchen, ein Weib mit träumerisch grossen Augen, deren Blick sich nach rechts, in der Richtung, woher der Genius kam, verliert. Den blumengeschmückten, ernsten Kopf stützt sie auf ihren rechten Arm, als wollte sie die Ohren zuhalten, damit sie die lockenden Töne der Syrinx, der Hirtenflöte, der aus mehreren ungleichen Röhren konstruierten „fistula", nicht hören muss, welche ein hinter ihr stehender Hirtenknabe, auf seinen krummen Hirtenstab gestützt, soeben gespielt hat, und, jetzt plötzlich aufhörend, mit einem faunischen Lächeln die Wirkung seines verführerischen Spiels zu betrachten scheint. Das in reich gefaltete Gewänder gehüllte Weib streckt seinen rechten Fuss nach vorne, stützt sich mit der linken Hand auf einen Wanderstab, auf einen flüchtig und roh zurechtgeschnittenen Baumast und ist sichtlich entschlossen, in der nächsten Minute aufzustehen und ihren unbekannten, unsicheren, aber schon lange ersehnten Wanderweg zu betreten. Umsonst war also die lockende Musik, umsonst duftet neben ihr der grosse, mit herrlichen Früchten, Äpfeln und Weintrauben hoch angefüllte Korb, diese göttliche Mädchengestalt beachtet keine von den beiden Lockungen, sie scheint von etwas Höherem, Erhabenerem gerufen worden zu sein ! Bevor ich aber zur Deutung dieser Bilderreihe heranschreite und sie erkläre, wie ich sie sehe, erlaube ich mir noch die Bemerkung, dass mich auf diese Deutung das Werk „ Weltgeschichte im Lichte des Heiligen Gral" (Bd. I) von Walter Johannes Stein ] geführt hat. Stein bringt gewisse rosenkreuzlerische Symbole mit der Parzival-Sage in Verbindung. Freilich mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit, wie ich das schon in meiner Parzival-Studie 2 seinerzeit dargetan habe, und wie ich dies noch im Zusammenhange mit den Everymanmotiven und mit dem Bilde in Pisa eingehend besprechen möchte. Nach den „Zwölf Schlüsseln" , einem alchemistischen Werke von Basilius Valentinus (vor 1600), wird die Entwicklung des Menschenichs durch vier Tiersymbole veranschaulicht : durch einen Raben, einen Pfau, einen Schwan und Pelikan. Die einzelnen Tiere stellen die Entwicklungsstufen des menschlichen Ichs dar. Das Stadium der völligen Stumpfheit und seelischen Finsternis und Unwissenheit ist der Rabe; jener Mensch, der schon die vielfarbige Welt durch eigene Erfahrung kennengelernt hat, aber mit dieser Vielartigkeit des Lebens noch nichts anzufangen weiss, ist der Pfau ; in der nächsten Vollkommenheitsstufe singt der Mensch „den Schwanengesang" aller weltlichen Herrlichkeit und findet somit die Lösung, die „einzig mögliche" Beherrschung der wichtigsten Lebensprobleme. Das will der Schwan bedeuten. Endlich aber erreicht der Mensch die höchste Vollkommenheit : er wird zu einem Pelikan, d. h. er opfert sich für die Gesamtheit, er gibt sein Blut für alle her. Diese symbolische Darstellung des Lebens in dem stufenweisen Entwicklungsgang des Einzelnen war weder im Mittelalter, noch für die Antike unbekannt. Der Abschnitt über Everyman und Lebensrad im ersten Band meines Totentanzwerkes liefert genug Zeugnisse dafür. Hier soll nur erwähnt werden, dass ich diesen Gedanken, die Darstellung der Entwicklungsstufen des Menschenlebens durch Tiersymbole, am 30. Oktober 1928 in der vatikanischen Antikensammlung (Sala a Croce greca) auf dem Porphyrsarkophag der Constantia, einer Tochter Konstantins, 1 Stuttg. 1928; S. 130 ÍÍ. 2 „Uj kísérletek a Grál-probléma megoldására" Katolikus Szemle 1937 március-április; Nr. LI. 3—4; S. 154 -160, 212-223.