Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
Csilla Markója: „Die Entfernung zwischen einem erhabenen und einem abscheulichen Gesicht". Über die außergewöhnliche Kunst des László Mednyánszky
Der Held der Mednyánszky-Anekdoten, der blauäugige, alte Mann mit dem kindlichen Blick, 12 der „alles wusste, alles sah, aber nichts sagte", lebte tatsächlich in einer auf das eigene Ich konzentrierten Isolation. Einerseits passte er sich mit vollkommener Mimikry an die jeweilige, ständig wechselnde Umgebung und damit an den Kontext seiner Kunst an. Das bedeutete nicht nur, dass er unter Landstreichern ein Landstreicher und in den aristokratischen Salons ein Baron war und in allem die Verwandlung so vollkommen vollzog, dass ihn auch die Lumpensammler der Pariser Vorstadt als „bon vieux chiffonard" akzeptierten. Er passte sich mit gleicher Vollkommenheit auch seiner jeweiligen geistigen Umgebung an. Zunächst machte er sich voll und ganz die Ansichten des Justh-Kreises zueigen, später in der Modernisierungsperiode seiner Kunst beschäftigte ihn, beginnend mit der Pariser Ausstellung, immer mehr die theosophische und andere Lektüre, die Gespräche mit Károly Lyka (dem er als einzigem seine Werke noch vor der Ausstellung zeigte) und die Ausstellungserlebnisse. Seine Kunst tangierte alle großen Stilrichtungen der Zeit. Das könnte uns leicht dazu verführen, Namenslisten zu verlesen und mechanisch Analogien abzuleiten. Denn es gibt wohl kaum einen Künstler unter den Stimmungsmalern des Pleinair, den Symbolisten, Impressionisten oder Postimpressionisten, bei dem wir nicht ein mit Mednyánszky in Zusammenhang zu bringendes Werk fänden. Er verwendete alle allgemein beliebten Motive, kannte alle technischen Verfahren, malte oftmals gleichzeitig in zahllosen Modi, suchte alle großen Kunstzentren auf, besuchte regelmäßig die Ausstellungssäle und Museen, war für neue Eindrücke empfänglich und zu Neuerungen immer bereit. Andererseits wusste er seine Autonomie zu bewahren. Ein Teil seines Wesens und seiner Kunst blieb unberührt, war nicht zu erschüttern, verhielt sich sogar abweisend. Dem Anschein nach kommunizierte er recht lebhaft mit seiner Umgebung, doch in Wahrheit unterhielt er nur lockere Verbindungen zur Außenwelt. Das liefert in gewisser Weise eine Erklärung für den Inklusionscharakter seiner Kunst und den Sonderweg seiner Modernität, die es einer Kunstgeschichtsschreibung im Sinne des Entwicklungsprinzips nach westeuropäischem Muster so schwer machen, ihn einzuordnen. Wie auch Jan Abelovsky schreibt: „Die Kunst Mednyánszkys reflektiert auf eine ihr genehme Weise das autistische Verhältnis und die Antipathie eines mitteleuropäischen Modernisten, an deren Stelle er aufgrund eigener Erfahrungen ein dem extrem entgegengesetztes Bestreben - das Studium der Auswirkungen der modernen Lebensformen setzt." 13 Dieses Phänomen, dass er sich mit den Ansichten seiner Umgebung identifizierte und gleichzeitig völlig unabhängig davon blieb, äußerte sich auch in der Zwiespältigkeit und Komplexität seiner Persönlichkeit. Obwohl das Rekonstruieren der Persönlichkeit, der Wesensart, der „biographischen Individualität" eines Künstlers heute „eine mit allgemein gültigem Anathema belegte Methode" 14 ist, denke ich doch, dass die historische Rekonstruktion einer Periode nicht objektiver ist als die eines Individuums, denn beides gründet sich auf dieselben Quellen. Jedes Verfahren des Historikers ist in gewissem Sinne ein Fiktionsverfahren, außerdem kann es nie die Zeit verleugnen, in der es entstanden ist. Und wenn wir über die Kunst einer so durch und durch individualistischen Zeit sprechen, wie es die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war, dann müssen wir uns auch ein Bild machen von der „zum Zeichen geformten" Person des Künstlers, der speziellen „Arbeitshypothese", die untrennbar von seinem Werk ist. Wie könnten wir Fragen der Stilentwicklung analysieren, wie könnten wir periodisieren und die Laufbahn des Künstlers skizzieren, wenn wir uns nicht über den Hintergrund der Veränderungen im klaren wären? Und in Bezug auf das „verworrene seelische Gestrüpp" Mednyánszkys steht uns eine Menge erstrangiger Quellen zur Verfügung: zum einen ein riesiger Anekdotenschatz, in dem sogar die für die Legendenfabrikation geeigneten Elemente allerlei verraten, zum anderen die mehrere tausend Manuskriptseiten umfassenden, scheinbar ins Unendliche gehenden Aufzeichnungen der überlieferten Tagebücher Mednyánszkys, die 1960 in einer gewissermaßen „gefilterten" Auswahl veröffentlicht wurden 15 und jetzt erstmals teils revidiert, teils mit bisher unbekannten Aufzeichnungen ergänzt, in Verbindung mit der monographischen Ausstellung erscheinen. Für Fragen der Datierung liefern uns die Tagebücher allerdings weniger Anhaltspunkte als erhofft. Grund dafür sind wieder die seelischen Besonderheiten Mednyánszkys. Ein erster rezeptionsgeschichtlicher Exkurs: Die Kritik von István Genthon Die kritischen Zeilen, mit denen István Genthon 1935 in seinem Buch Az új magyar festőművészet története [Geschichte der neuen ungarischen Malerei] Mednyánszky bedachte, wollen wir noch vor den zeitgenössischen Würdigungen behandeln, denn die darin angesprochenen Dinge gehören zu den charakteristischen und hartnäckigen, wenngleich fruchtbaren Missverständnissen in Bezug auf Mednyánszky. Freilich ist auch Genthon nicht in jedem Fall die Quelle der Aussagen. Mednyánszkys Kunst fand zu seiner Zeit nicht nur begeisterte Befürworter oder anerkennendes Publikum, es gab auch Stimmen, die Missbehagen äußerten. Diese Kritiken kennen wir vor allem aus den Widerlegungen von Károly Lyka, und sie tauchen erneut bei Genthon auf, der zu Schlussfolgerungen kommt, die dann in der späteren Fachliteratur regelmäßig wiederkehren. 16 So der aus der zeitgenössischen Kritik stammende Topos vom Motiv des „Nebelmenschen": „Die Bilder der Natur sind gestaltlos, sie wuchern in seiner Kunst in Form von nie erstarrenden, nebelartigen oder fließenden Stimmungsbildern. [...] Nur die enge Verbindung mit der Natur weihte seine labile, diffuse Persönlichkeit zum Künstler." Doch kehren auch die vulgären Nietzscheanischen Gedanken Malonyays vom „schwachen, zu Taten unfähigen" Menschen, der in der Kunst kompensiert, zurück: „Von der ersten bis zur letzten Leinwand war er ein Sklave seiner Gefühle, doch diese Gefühle spornten ihn nie zu Taten an, machten es ihm niemals möglich, seine Aussagen zu organisieren [... ] während seiner jahrzehntelangen Landstreicherei entfaltete sich in ihm durch seine tiefe Beziehung zur Natur ein gewaltiges Formengedächtnis. Seine Landschaften, auf denen der frische Tau des ersten Eindrucks liegt, hat er, so unglaublich es auch klingen mag, durchwegs im Atelier gemalt. Ihn interessierte nur das malerische Motiv, das er manisch erforschte." Auch die Meinung von Károly Lyka, wonach Mednyánszky „sein eigener Vorfahrer" sei, tauchte bei Genthon auf. „Von einer konsequenten Entwicklung oder auch nur den Spuren einer Entwicklung lässt