Nagy Ildikó szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 1989-1991 (MNG Budapest, 1993)

Pieske, Christa: DAS BILD IM BILDE: „EIN MORGEN NACH DEM MASKENBALL"

Heimkehrende Landmädchen (Kniestück, zwei ungarische Landmädchen mit Feldfrüchten) als kolorierte Lithographien mit Tondruck für 4,- M angeboten 40 . Das Gemälde wird durch die ungewöhnliche Komposition mit dem starken Lichteinfall, der auf die Personengruppe gerichtet ist und den übrigen Raum in einem fast nicht zu durchdringenden Dunkel läßt, besonders attraktiv. Hiermit liegt ein wesentliches Werk der ungarischen Genremalerei vor, in dem die Behandlung des Stofflichen von ausgesuchter Raffinesse ist. Wenn auch die malerische Qualität stets außer Frage stand, die zeitgenössische Kritik entzündete sich an dem Inhalt. Im „Tagebuch von Pesth" von 6. August 1851 wurde die Thematik gegeißelt und eine Malerei verurteilt, die sich mit dem Zeitvertreib von Mätressen befaßte. Die oberflächlichen und genußsüchtigen Damen folgten damit dem verderblichen Zug der Zeit, eine Chronique scandaleuse zu bereichern. Die schlechten Einflüsse aus Frankreich zeigten sich nicht nur in der Lebensführung, sondern dokumentierten sich auch in den dort geschaffenen Lithographien 41 . Und gerade diesen Lithographien widmeten sich die jungen Damen nach einer am Hofe der Esterházys durchtanzten Nacht! Auf dem Gemälde wird die pikante Graphik der Zeit zwar nicht allzu deutlich, aber für den Kenner sicher entzifferbar, ins Licht gerückt. Das eine Blatt, das das Hauptinteresse auf sich gezogen hat, ist gerade nicht zu erkennen. Aber ein anderes kann darüber Aufschluß geben: Aus der Mappe unter dem Fauteuil herausgezogen und vom Bücherstapel gehalten, liegt deutlich sichtbar Wenn die Jugend wüßte mit einer unleserlichen Druckadresse. Auf diesem Blatt ist es die reifere Dame der Gesellschaft, deren Avancen der junge Page hilflos gegenübersteht. Auf dem Pendant Wenn das Alter könnte wäre die unangenehme Situation eines greisen, an den Lehnstuhl gefesselten Kavaliers geschildert, der sehnsüchtig auf die Reize des sehr jungen Stubenmädchens schaut. Damit ist verdeckt, aber von den Kundigen ohne Zweifel verstanden, die Anspielung auf den alternden Fürsten in den Mittelpunkt der Belustigung gerückt. Beide Blätter waren bekannt aus der Serie „Musée omnibus" des Pariser Kunstverlegers Goupil & Cie. als No. 40 und 41, Si vieillesse pouvait und Si jeunesse savait. Goupil hat sie ebenfalls in der Serie „Musée des rieurs" verwendet, in der sie als No. 25 und 26 erschienen. Sie sind nach Zeichnungen (oder Gemälden?) von Eugène Guérard (1821 — 1866) gefertigt, der in Paris bei Delaroche gelernt hatte, sich aber dann vor allem durch Arbeiten bei Goupil ernährte. Seine Bilderfindungen fanden rasch Nachahmer. Die Berliner Popularverlage wie F. Sala & Co. und C. Wilcke brachten sie in sorgfältig kolorierten Kreidelithographien mit Randornamentik und Tonplattendruck zwischen 1848 und 1858 heraus. Das Motiv der ungleichen Liebe ist seit dem 15. Jahrhundert in der populären Graphik bekannt. Die Liste bei Pigler bringt 74 Titel an Gemälden und Zeichnungen allein bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, ohne die weit zahlreicheren Graphiken zu erwähnen 42 . Im 19. umfaßte das Motiv nicht nur den Gegensatz von Jung und Alt, sondern auch den von Arm und Reich und Hoch und Niedrig. Die abhängige Stellung des Dienenden, ob Stallknecht, Stubenmädchen oder Magd, wurde ausgenutzt. Die unter „Humor" laufenden Darstellungen enthielten weder eine moralische Entrüstung noch eine Sozialkritik, — sie riefen sie auch nicht hervor. Die überall erwarteten und geduldeten Zustände blieben ein Bildmotiv, über das sich alle weidlich amüsierten. Ist es ein Zufall, daß sich das Blatt Wenn das Alter könnte soviel öfter erhalten hat als das Pendant? Das Verhältnis „alter Mann-junges Mädchen" wurde allgemein akzeptiert, während das umgekehrte kaum in Betracht gezogen wurde. Als vielgesuchte Pendants für Junggesellenkabinette oder für mit galanten Drucken gefüllte Graphikmappen war die ungleiche Liebe bei allen Verlegern im Bildprogramm, die sich mit dem erotischen Genre befaßten. Von den Malern, die die Vorlagen schufen, sei H. W. Schlesinger (1814- 1893) erwähnt, der 1843 u. a. Si jeunesse savait ausstellte 43 . Andere Bildformulierungen wählte Vallou de Villeneuve (1795- 1866), der durch seine ländlichen Genreszenen, aber auch durch erotische Serien wie Les jeunes femmes bekannt war 44 . Der Wiener Kunstverleger L. T. Neumann brachte von Hasslwander gezeichnete und von Ed. Kaiser lithographierte Blätter heraus, die sich über dreißig Jahre auf dem Markt hielten 45 . Die entsprechenden Blätter bei Wentzel, Weißenburg Eis., wurden 1857 nach K. Th. Westermann lithographiert und von F. Lix komponiert, wie man das Umzeichnen durch die Popularlithographen nannte 46 . Besonders üppig ausgestattete Räume und höchst elegante Garderoben zeigt der Pariser Sittenmaler Philip Jacques Linder (von 1857 bis 1880 nachweisbar). In der Serie „Galerie pour rire", 1860 von Bulla, Paris, herausgegeben, glänzte er mit den Pendants Bichon pour Madame und La chatte pour Monsieur. Hier nahmen

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