Nagy Ildikó szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 1980-1988 (MNG Budapest, 1989)
R. Várkonyi, Ágnes: VARIATIONEN ÜBER DIE UNGARISCHE GESCHICHTE: DIE BILDER DER AUSSTELLUNG. UNGAR 1526-1790
ungarisch-türkische Grenze nach Süden verschoben werden konnte. Umso größer war die Erbitterung, als die „Zeit des Versprechens" in anderer Form als erwartet kam. Die Einheit des Landes wurde nicht verwirklicht, die Institutionen der staatlichen Selbständigkeit schienen eliminiert. In das Friedensdokument von Karlowitz. mit dem Anfang 1699 der türkische Krieg abgeschlossen wurde, waren die Interessen des Königreichs Ungarn und des Fürstentums Siebenbürgen nicht aufgenommen worden, vergebens hatte sich der englische Vermittler bei den Friedensverhandlungen, G.J. Stepney, dafür eingesetzt. ,,Sine nobis de nobis — es wurde ohne uns über uns entschieden" — wird es in dem an die „Völker der Welt", an die Länder Europas gerichteten ungarischen Manifest 56 heißen, das erklärt, warum das Land nach einem Jahrhundert eines mörderischen Krieges jetzt zum Freiheitskampf gezwungen wird. AN DER GRENZE ZWEIER EPOCHEN (1699-1790) Zur wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Einrichtung des von den Türken zurückeroberten Ungarn wurden mehrere Versuche unternommen. Dem rohen Terror der Armeen, ihrer Raubwirtschaft und der Herrschaft des gesetzwidrigen Gerichts von Caraffa zu Eperjes nach der Zurückeroberung von Buda folgt ein Kompromiß. Einer vorherigen Vereinbarung der ungarischen Stände und der Habsburger Administration zufolge wurde auf dem Preßburger Landtag von 1687 die Verfassung des Landes umgestaltet. Das bis dahin gewählte Königtum wurde Erbkönigtum der Dynastie Habsburg. Dafür versicherte der Monarch die höchsten Würdenträger des Landes, daß sie die Einrichtung des Landes auf souveräne Weise durchführen könnten, und ließ dem Hochadel besondere Privilegien zukommen: Palatin Esterházy bekam den Titel eines Reichsfürsten. andere Familien erhielten Fideikommiß für ihre Güter. 57 Die Kriegskonjunktur bot einigen Familien des Hoch- und des niederen Adels sowie manchen unternehmerischen Leibeigenenfamilien günstige Möglichkeiten. Als Ersatz für den ausgefallenen Palatinslohn bekam Esterházy eine Hoflizenz für das Betreiben einer Siebenbürgischen Salzhandelsgesellschaft. Der Kreditgeber des Hofs, Samuel Oppenheimer. sorgte für das nötige Kapital und die Organisation. Das Land begann aber selbst die elementarsten Bedingungen seiner Staatlichkeit zu verlieren. Regiert wurde durch Verordnungen, die Protestanten verloren, zusammen mit ihren Kirchen und Schulen, auch ihre Stiftungen. Das Verlagswesen wurde von der Zensur eingeschränkt, der Adel konnte seine Besitztümer nur gegen hohe Loskaufsummen (jus armorum) zurückbekommen, und die ungarischen Reformpläne für die Landeseinrichtung wurden nicht verwirklicht. 58 Die jährliche Steuer von 2—3 Millionen wurden 1698 auf 4 Millionen dergestalt erhöht, daß ein Fünftel davon der Adel zu zahlen hatte. Wegen der Handelsmonopole, der Handelssondersteuer, der Zollverordnungen, die die Industrie verkrüppelten, wegen der religiösen Diskriminierung und der Raubwirtschaft des unversorgten Militärs war aber die Gesellschaft nicht in der Lage regelmäßig Steuer zu zahlen.* Die ungarische Armee wurde aufgelöst (1698), und zu Recht stellte der Präsident der Hofkammer. Graf Siegfried Breuner. der bis zum Schluß zusammen mit dem ungarischen Hochadel die Aufstellung einer nationalen Miliz forderte, fest: ,,In sonderbahrer Betrachtung, daß es die gantze hungarische Nation sehr disconsoliren wurde, wan man sie selbsten nicht für würdig und fähig hielte, die limites ihres Vaterlandes mit verwahren zu helfen, sondern solche einer Nation, und zwar allein anvertrauen thäte, welche bei den Hungarn in antiquo odio et contemptu ist: eß dörften auch die Stände des Königreichs, wan sie sich so gar praeteriirt und vilipendirt seheten, sich wider die infractionem jurium regni beklagen, kraft welcher, wie die klare décréta et articuli reden, die supremi et inferiores capitaneatus den Hungarn zu conferiren seyn." Die Auflösung des habsburgisch-ungarischen Kompromisses am Ende des Jahrhunderts war dennoch nicht nur wegen der außerordentlich schwierigen ungarischen Verhältnisse erfolgt. Die Krise des Gleichgewichts der Mächte in Europa und das brisante Bedürfnis nach Umordnung der internationalen Kräfteverhältnisse kamen im Spanischen Erbfolgekrieg und im Nordischen Krieg zum Ausdruck. 1703 starb der Hofgläubiger der Habsburger-Administration, Samuel Oppenheimer, seine Bank brach zusammen. Es wurde offensichtlich, daß sich das Habsburgerreich weder wirtschaftlich noch verwaltungsmäßig auf die alte Weise lenken ließ.'' 1 Der unter der Führung von Fürst Franz II. Rákóczi sich entfaltende Freiheitskampf (1703—1711) war ein organischer Bestandteil der europäischen Kriege, diente aber patriotischen und gesellschaftlichen Zielen. Er wollte jenes Niveau der staatlichen Souveränität wahren, das Ungarn in der Türkenzeit unter entsetzlichen Kraftanstrengungen erreicht hatte, und strebte eine zeitgemäßere Lösung für die Verwirklichung der Einheit des Landes ebenso wie für die administrative, gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Ordnungen. Rákóczi ist acht Jahre alt, als sein Porträt gemalt wird. Zuvor hatte er schon an der Seite seines Stiefvaters Imre Thököly an den oberungarischen Feldzügcn teilgenommen; danach wollte ihn seine Mutter aus der Festung Munkács, die der Belagerung durch die kaiserlichen Truppen drei Jahre lang widerstand (1685—1688), der Obhut des französischen und des polnischen Königs anempfehlen. Von seinem zwölften Lebensjahr an wurde er zusammen mit den Söhnen der österreichischen höfischen Aristokratie im Jesuitenkollegium zu Neuhaus erzogen. Auch im Wiener Palais seines Schwagers, des kaiserlichen Generals Graf Gottfried Aspremont, hatte er Gelegenheit, die internationalen politischen Kräfteverhältnisse kennenzulernen. Als Nachfahre der siebenbürgischen Fürsten und als Fürst des Heiligen Römischen Reiches gerät er durch seine Heirat mit der Tochter der Fürstenfamilie Hessen-Rheinfels, Sarah Amalie, in verwandtschaftliche Beziehungen mit regierenden europäischen Familien. Seine Bildung umfaßt, auf ungarischen Traditionen fußend, Machiavelli und die französische jansenistische Literatur gleichermaßen. An kriegsvorbereitenden Aktivitäten nahmen Angehörige des höheren und niederen Adels teil, wie der Obergespan des Komitates Ung, Miklós Graf Bercsényi, ein führender Politiker Oberungarns, mehrere Mitglieder der Familie Szirmay und