Póczy Klára: Forschungen in Aquincum 1969- 2002 (Aquincum Nostrum 2. Budapest, 2003)
6. Die Wirtschaft Aquincums im Spiegel der neuen Funde - 6.1. Lokales Gewerbe und Handel (Klára Póczy, Paula Zsidi)
darstellenden Ringstein stempelte, sie sozusagen mit einem Meister- oder Firmenzeichen versah. In diesem Zeitraum galt der Brauch des Stempeins mit einer Gemme in Mittel- und Norditalien als allgemein übliche Praxis. 4 Wesentlich ist jedoch, daß sie dort, bestimmte dekorative Schemata bildend, als Zierelement gedient hat. Das Gegenstück der auf der Gemme vom Fundort Gellérthegy-Tabán abgebildeten Victoria wähnte man an den Verzierungen in Capua produzierter Gefäße wiederzuerkennen (L. NAGY 1942/1). Doch im Grunde deutet die Warengruppe mit Victoria-Gemmen auf italische Beziehungen. Wie aus dieser Schlage hervorgeht, waren es zwei Faktoren, die zur Entwicklung des lokalen Handwerks - das sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte zum typischen Handwerk Aquincums herausbüdete - beitrugen: als Basis die niveauvollen Produkte des Handwerks der keltischen Eravisker und daneben der ständige, immer überzeugendere Beweise liefernde italische Einfluss. An einigen in der eraviskischen Töpfersiedlung gefundenen Keramikfragmenten blieben Spuren einer nach dem Brennen in das Gefäß eingeritzten Kursivinschrift erhalten, die von der Verbreitung der Schrift zeugt (L. NAGY 1942/1). Das Vorhandensein von Geldverkehr und Schriftkundigkeit war den zu römischen Kaufleuten unterhaltenen Beziehungen förderlich, die ihren Handel nach Norden damals auf der Bernsteinstraße und dem bis Aquincum verlängerten Abschnitt der via Postumia (PÓCZY 1998/1) abwickelten. 5 Die ersten ständigen Militärlager im Raum Budapest (claudisch-flavische Periode) Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gab es im Raum Aquincum - unseren bisherigen Kenntnissen 4 Zu dem norditalischen Gemmengefäßen zuletzt : M. Voloné und S. Jorio, Terra sigillata. In: (a cura di A. M. Tamassia) Archaeologia di un ambiente padano. Firenze, 1996, 149-187, A. M. Volonte, Le richerche archaeologiche. In: (a cura di L. Passi Pitcher - M. Volonte) Santa Maria della Senigola. Da villa romána a luogo sacro. Storia della chiesa campestre di Pescarolo. Milano, 2000, 13-24. 5 S. den Abschnitt „Die Geographie Aquincums" (3.). nach — mindesten 5-6 an den strategisch wichtigen Punkten des rechten Donauufers errichtete Müitärlager. Ihre Garnison bestand aus jeweils fünfhundert Mann Reiterei. Die neue Militärbasis der Donaustreitmacht kam nach Óbuda (Altofen), wo man im Jahr 89 n. Chr. für die 6000 Mann zählende Legion ein Legionslager baute. In der im Umkreis des Legionslagers entstehenden Militärstadt (canabae legionis) wurden die das Militär begleitenden Händler und Handwerksmeister untergebracht. Hier lebten auch die Angehörigen der Soldaten, ihre Frauen und Kinder. Das Auftreten des annähernd zehntausend Mann starken Heeres im Raum Aquincum verursachte einen grundlegenden Wandel der Lebensweise und stellte zugleich einen sich unverhofft öffnenden riesigen Absatzmarkt dar. Die ständige militärische Präsenz sowie die zusammen mit dem Militär eingetroffenen und sich hier niederlassenden Kaufleute und Handwerker riefen in den Handelsbeziehungen der Siedlung und in der lokalen Handwerkproduktion einschneidende Veränderungen hervor. Die gewachsene Zivilbevölkerung bedeutete quantitativ und qualitativ höhere Verbrauchererwartungen, die von der lokalen Landwirtschafts- und Handwerkproduktion nicht zufriedengestellt werden konnten. Das Heer versorgte sich selbst, doch neben den Militärwerkstätten war Aquincum hauptsächlich im ersten Jahrhundert der Römerherrschaft auf den Import italischer Landwirtschaftserzeugnisse sowie die Luxusbedürfnisse der Einwanderer angewiesen. Die Bernsteinstraße und die nordöstliche Verlängerung der via Postumia schufen eine schnelle und sichere Verbindung zwischen Norditalien und Aquincum, was die immer bessere Befriedigung der neuen Verbraucheransprüche ermöglichte. In diesem aufblühenden Handelsverkehr nahm Aquileia, die nördliche Hafenstadt an der Adria, eine Schlüsselstellung ein. Mehr als ein halbes Jahrtausend lang war sie für die nördlichen Provinzen des Imperiums, für Raetien, Noricum und Pannonién, die Repräsentantin Roms (Aquincum 1995). Über Aquileia gelangten allerdings nicht nur norditalische Waren auf die Märkte im Norden. Eine wichtige