Budapest Régiségei 30. (1993)

Harl, Ortolf: Die Stellung der Frau bei den einheimischen Stämmen Nordpannoniens : eine sozial- und kunstgeschichtliche Studie = A nő helyzete Észak-Pannónia bennszülött törzseinél 7-37

hen können. Wie lange sie gesetzt wurden, läßt sich dagegen hoch nicht sagen. Aber da die Munizipalisie­rung und mit dieser das unter Hadrian eingeführte lo­kale Rekrutierungssystem ja nicht ganz Pannonién er­faßten, sollte man den zeitlichen Rahmen für die "primitive" Kunstübung der römerzeitlichen Kelten nicht zu eng bemessen. Da sich im Allgemeinen die einheimischen Frauen auf den Grabsteinen bis in die severische Zeit hinein in ihrer Stammestracht darstel­ci len lassen , würde ich gerne, auch wenn es keine greifbaren Beweise dafür gibt, die Herstellungsdauer dieser primitiven Stelen so weit ausdehnen. - Auch für die Suche nach den Vor - Bildern hilft der Hinweis auf die claudischen Porträtbüsten als äl­testes datierendes Element weiter: Denn wenn die Vorbilder in der claudischen Zeit gesucht werden müssen, fallen die Grabdenkmäler der Legionäre praktisch aus, da damals nur eine Legion in Nordpan­nonien stationiert war, nämlich die 15. Apollinaris, die zuerst wohl in Savaria und von Claudius an in Car­nuntum lag. Deren Grabsteine waren in der An­fangsphase anikon, trugen also nur die Inschrift und allenfalls ein Ornament bzw. Gegenstände, die die Tä­tigkeit des Soldaten charakterisierten. Zu untersuchen wäre, ob nicht eher die Grabdenkmäler der Koloni­sten von Savaria oder jene der italischen Einwohner des tiberischen oppidum Scarbantia die Vorbilder ge­liefert haben könnten. Vor allem aber sollten die pan­nonischen Hilfstruppen nicht übersehen werden, die gerade in der Frühphase einige sehr qualitätvolle Stei­ne mit Porträtbüsten hinterließen. Bemerkenswert ist in jedem Falle bei den Einhei­mischen das Vorherrschen der Individualdenkmäler an Stelle der bei den Römern so beliebten Familien­grabsteine, auf denen die verstorbenen oder noch le­benden Familienmitglieder gesammelt verzeichnet sind. Dieses Charakteristikum mag dem Drang der Kelten nach Individualismus entsprochen haben, könnte aber auch von den Verhältnissen in der frühen Romanisierungsphase beeinflußt sein, als viele Römer - Soldaten wie Zivilisten - vorwiegend aus Oberitalien nach Pannonién strömten, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Es wäre daher die Untersuchung wert, ob in dieser frühen Romanisierungsphase nicht auch bei den Römern das Einzelgrabmal vorherrschte. Zum Schluß noch zwei prinzipielle Feststellungen: Aufgenommen wurden ausschließlich Denkmäler mit einheimischen Namen, ausgeklammert wurden dage­gen alle Legions- und Auxiliarsoldaten sowie alle Trä­ger von Tria Nomina, obwohl Mócsy in seiner Studie über die Bevölkerung Pannoniens etliche anführt, die er für einheimisch hält. Ferner darf nicht der Ein­druck entstehen, daß nur bei den nordpannonischen Stämmen die Frauen eine bedeutende Rolle gespielt haben. Denn auch außerhalb Nordpannoniens war es möglich, daß einheimische Frauen der Oberschicht ih­ren Männern Grabdenkmäler oder gar Grabanlagen errichteten. Als Beispiel aus Noricum möge nur die 150 cm breite Inschriftplatte aus Graz - Straßgang herangezogen werden, auf der eine Einheimische, al­lerdings ohne Filiation, den Bau einer Grabädikula für ihren Mann C. Sempronius Secundums, einen decurio von Solva, und ihren mit 19 Jahren verstorbenen, gleichnamigen Sohn, einen librarius consularis, verkün­det. Hinter den römischen Namen und hinter dem römischen Habitus dieser Verstorbenen werden sich Mitglieder der einheimischen Oberschicht verbergen. Aber gerade sie machen uns klar, daß die Grabsteine aus den drei norpannonischen civitates das keltisch-il­lyrische Substrat in einem durch römische Kunstübung noch nicht so stark gefilterten Zustand übermitteln. Dies gilt, wie wir am Ende dieser Abhandlung sehen werden, auch für die Gesellschaftsordnung, die sich gerade in der Stellung der Frau deutlich von der rö­mischen unterscheidet. Kriterien zur Beurteilung des sozialen Status der Einheimischen Die Tatsache, daß die einheimischen Stämme unter der Aufsicht römischer Offiziere von niedrigem Rang standen, wurde schon erwähnt. Wenn wir mehr als einhundert Jahre nach Th. Mommsen bei den Einhei­mischen noch immer keine Verwaltung wahrnehmen können, müssen wir annehmen, daß deren altherge­brachte Sozialstruktur auch nach ihrer Eingliederung ins römische Reich erhalten geblieben war. Da sich die Romanisierung der Einheimischen in erster Linie auf ihren Grabsteinen niederschlägt, müssen wir auf der Suche nach Auskünften über die Sozialstruktur bei diesen ansetzen. Gerade deshalb ist zu bedauern, daß praktisch alle Grabsteine der Einheimischen für die spätantiken Körpergräber weiterverwendet wurden und daß - soweit ich sehe - kein einziger Stein mit Inschrift und Reliefdarstellung in seiner ursprüngli­chen Aufstellung und Umgebung gefunden wurde. Die erhaltenen Grabsteine lassen sich in zwei Gruppen scheiden, jene mit und jene ohne Reliefbild (ikon - anikon). Eine gesicherte Aussage, ob sich in dieser Unterscheidung eine soziale Schichtung spie­gelt, ist nur in Kenntnis des gesamten Materials mög­lich und würde den Rahmen des Themas' überschrei­ten. Da aber Sklaven mit einheimischen Namen auf anikonen Grabplatten auftreten und da, wie sich in der Folge zeigen wird, große Steine mit Vollfigur oder Büste (oder zumindest mit einem Bildfeld) für Ver­storbene mit Filiation gesetzt worden sind, darf man annehmen, daß das Bild als solches schon die Stellung der/des freigeborenen Verstorbenen signalisieren soll­te. Wenn man jenen Grabstein mit Frauenbüste in ein­heimisch-boischer Tracht, den ein Boius einer mit 30 Jahren verstorbenen Bilatusa Cauti liberta gesetzt hat , hier anfügt, dann gewinnt man den Eindruck, daß eigentlich nur zwei Gesellschaftsschichten exi­stierten: Die Freigeborenen (zu denen die Freigelas­senen der Oberschicht solange zu rechnen wären, als das Patronatsverhältnis bestand), die eine Bildstele er­richten konnten, und die Unfreien, denen allenfalls ei­ne anikone (= biidfeldlose) Inschriftplatte zustand. 11

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