Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)

DÖBERL, Mario: Höfisch oder privat? Die Beschaffung und Wartung von Wägen am Wiener Kaiserhof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Mario Döberl Manche notwendige personelle Änderungen, die in Zusammenhang mit der Hofsattlerei standen, konnten nicht gleichzeitig mit den weit reichenden Reformen von 1820 durchgeführt werden, sondern wurden mehrere Jahre lang aufgeschoben. Dazu zählte die Besetzung der beiden Wagenmeisterstellen. Diese gut bezahlten Positionen waren Anfang des 19. Jahrhunderts zweckentfremdet worden und zu Versorgungsposten für älteres Personal verkommen, das nicht mehr fähig war, Dienst bei den Pferden zu verrichten. Wagenmeister Gotthard Witschko war früher Postillion beziehungsweise Leibpostillion gewesen; sein Kollege Leopold Leitner hatte hingegen als Postknecht gedient. Beide waren keine ausgebildeten Handwerker und konnten deshalb auch nicht die vorgeschriebenen täglichen Untersuchungen an den ihnen anvertrauten Fahrzeugen vornehmen. Für diese Aufgabe mussten eigens Sattlergesellen herangezogen werden. Die einzige Aufgabe der Wagenmeister bestand somit in der Aufsicht über die Wagenschupfen.80 Nach Witschkos Tod im Jahr 1830 wurde eine der Wagenmeisterstellen mit Wenzel Schwertner besetzt, der von 1820 bis 1827 als Obergeselle der Hofsattlerei und danach als Wagenbauaufseher beschäftigt gewesen war. Dies hatte den Vorteil, dass der fachkundige Schwertner nun alleine jene Arbeit leisten konnte, für die früher zwei Personen abgestellt werden mussten. Schwertner war als Wagenmeister auch gleichzeitig Leiter der Hofsattlerei.81 Die Position des zweiten Wagenmeisters wurde nach dem im Jahr 1839 erfolgten Tod Leitners nicht mehr nach besetzt.82 Zum Führungspersonal der Hofsattlerei zählte auch der Wagenbauaufseher beziehungsweise Wagenaufseher.83 Dieses Amt wurde im Unterschied zu den Wagenmeisterstellen stets mit erfahrenen Gesellen der Hofsattlerei besetzt. Ab 80 Oberststallmeisteramts-Kanzleidirektor Grill, Wien 1830 Mai 24, HHStA, OStA, C, 83, Fasz. 19, ohne ZI., unfol. 81 Oberststallmeisteramt, Wien 1836 April 1, HHStA, OStA, C, 112, einliegend ZI. 1 234 aus 1835, unfol. Zuweilen übernahm der Wagenmeister auch bei öffentlichen Anlässen eine wichtige Rolle. Beim Leichenbegängnis der im Kindesalter verstorbenen Erzherzogin Maria Anna Karolina (1835- 1840), Schwester des späteren Kaisers Franz Joseph I., oblag es dem von fünf Sattlergesellen unterstützten Wagenmeister, in der Hofburg den kleinen Sarg in einen für den Transport bestimmten, so genannten „Prinzengalawagen“ zu legen und am Zielort, der Kapuzinerkirche, angelangt, den Sarg wieder aus dem Fahrzeug zu heben. Für diesen Anlass wurde die Rückwand des Wagens herausgenommen und stattdessen ein aushängbares Fenster eingesetzt. Oberststallmeisteramt, Wien 1840 Februar 9, HHStA, OStA, B, 68, ZI. 445 aus 1840, unfol. Siehe auch Oberststallmeister Wrbna an Kaiser Ferdinand I., Wien 1844 Jänner 31, HHStA, OStA, C, 116, ZI. 733 aus 1844, unfol. 82 Vgl. Döberl: Die Kutschen der Kaiser, S. 160 f. 83 Oberststallmeisteramts-Kanzleidirektor Grill an Kaiser Franz I., Wien 1829 September 12, HHStA, OStA, C, 83, Fasz. 19, ohne ZI., unfol. Wurde der Inhaber dieses Amtes bis Ende der 1830er Jahre fast immer „Wagenbauaufseher“ und nur selten „Wagenaufseher“ genannt, so war dies danach zumeist umgekehrt. Mit dem Bezeichnungswechsel scheinen aber keine Kompetenzänderungen verbunden gewesen zu sein. 132

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