Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50. (2003) - 200 Jahre Russisches Außenministerium

Pjotr V. STEGNIJ: Einleitung des Symposiums

P. V. Stegnij In einem wesentlichen Ausmaß, gerade dank der Diplomatie, trat zu Ende des 15. Jahrhunderts eine geeinte Rus erneut in die europäische Arena ein. Ivan Groznyj, der ein neues System von Staats Verwaltungsorganen mit Hilfe zent­ralisierter Behörden, den so genannten Prikazy (Ämter), ins Leben rief, schuf 1549 den Posol’skij prikaz, der für alle diplomatischen Angelegenheiten des Moskauer Zarenreichs zuständig war. Der Tag seiner Gründung, der 10. Februar, wurde vor kurzem, durch einen Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation, zum Tag des diplomatischen Mitarbeiters erklärt. Die Herrschaft Peters I. war eine Periode von prinzipiell wichtigen Veränderun­gen hinsichtlich der internationalen Lage Russlands. Der Sieg im Nordischen Krieg festigte für unser Land den Status einer großen europäischen Staatsmacht. Es be­gann der Aufbau eines Netzes von ständigen diplomatischen Vertretungen in euro­päischen Ländern (Österreich, Holland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien) und in der Türkei. Im Zusammenhang mit der Entstehung von neuen außenpolitischen Aufgaben wurde der Posol’skij prikaz 1718-1720 in das Kollegium für auswärtige Angelegenheiten umgewandelt. Die Reformen Peters I. legten die Basis für die zukünftige außenpolitische Dokt­rin Russlands, die ihre endgültige Ausformung zur Zeit der Herrschaft Kathari­nas II. (1762-1796) erhielt. Deren Grundlage bildeten geopolitische Voraussetzun­gen, die durch die Lage Russlands als ein großes europäisches und asiatisches Land vorgegeben waren sowie das Bestreben, in dem Rahmen zu handeln, in welchem Europa der militärpolitischen Möglichkeiten und des wirtschaftlichen Potenzials Russlands bedurfte. Die praktische Durchführung dieser funktionellen Grundlage der russischen Diplomatie erfolgte jedoch höchst widersprüchlich. Die Teilnahme Russlands an den Teilungen Polens gemeinsam mit Österreich und Preußen, die Aggressionspolitik im Schwarzmeergebiet und auf dem Balkan, die für die Nach­folger Katharinas zum Selbstzweck wurde, dienten als Grundlage für die folgenden, gegen Russland gerichteten expansionistischen Anschuldigungen. Nach der Herausgabe des Manifests 1802 erhielt das Staatssystem Russlands - im konkreten auch das außenpolitische Amt - die uns gewohnten Züge. Für das Land wurde ein neues Verwaltungssystem geschaffen, in welchem das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten einen wichtigen Platz einnahm, indem es Russland in der Welt vertrat und schwierige Aufgaben beim Schutz seiner nationalen Interessen im Ausland löste. Der Leiter des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten war nach dem Zaren die zweite Person im Staatsapparat und trug die Bezeichnung eines Kanzlers. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Manifests hatte Russland bereits 44 ausländische Vertretungen (2 Botschaften, davon eine in Wien, 18 Missionen, 14 Generalkonsulate und 2 Vizekonsulate). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichten es die Aktivitäten der russischen Diplomaten - in erster Linie des Kanzlers Aleksandr M. Gorcakov (1856-1881) - Russland, sich aus der höchst komplizierten außenpolitischen Lage, die nach der Niederlage im Krimkrieg entstanden war, herauszumanövrieren. Be­reits 1870 konnte Russland die Annullierung jener Artikel des Pariser Friedensver­14

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