Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

Rezensionen

lieh von Naimark als „verlängerter Arm“ des Politbüro-Mitglieds A. A. Zdanov und treibende Kraft der Sowjetisierung porträtiert wurde. Diese Sichtweise nimmt Bezug auf die in den 80er Jahren von Gavriel Ra’anan entwickelte These von zwei Fraktionen innerhalb der sowjetischen Führung mit „Statthaltern“ in Deutschland, wobei der „liberale“ Flügel um den SMAD-Chef, Marschall Schukov, und seinen Politischen Berater, Vladimir Semjonov, und ihre Moskauer Drahtzieher Georgij Malenkov und Lavrentij Berija zu einem neutralisierten Gesamtdeutschland ten­dierten, wohingegen die „Hardliner“ um Tjulpanov und Zdanov den Umbau der deutschen Staats- und Gesellschaftsordnung nach dem Vorbild der UdSSR favori­siert hätten.4' Diese jahrelang dominierenden Themen werden durch das 1999 von Jan Foitzik, einem wissenschaftlichem Mitarbeiter der Außenstelle Berlin des Münchener In­stituts für Zeitgeschichte und profunden Kenner der SMAD, vorgelegte und auf einer enormen Quellen- und Literaturkenntnis beruhende neue Standardwerk kaum berührt, denn der Autor stellt sie absichtlich beiseite. So nimmt er zwar kurz kri­tisch Bezug auf die seiner Meinung nach von Naimark überschätzte Bedeutung Tjulpanovs (Foitzik, SMAD 269), durch seine Argumentation, ein zu hoch veran­schlagter Stellenwert Tjulpanovs entspreche nicht den geringen Kompetenzen der Informationsabteilung, führt er aber schon wieder zurück in sein eigentliches Un­tersuchungsgebiet: sein Ziel ist eine strukturelle Analyse des sowjetischen Appa­rates und seiner Funktionen, und durch die beharrliche Aufarbeitung der überwälti­genden Materialfülle gelingt es ihm, die zuletzt festgefahrene SMAD-Diskussion in neue Bahnen zu leiten. Seine Schlussfolgerungen sind - um zwei der wichtigsten Ergebnisse des Werkes vorwegzunehmen -, dass die SMAD trotz gravierender Kommunikationsprobleme und Interessensabweichungen sich niemals verselbstständigte, sondern stets nur ausführendes Instrument Moskaus blieb, und dass zwar sowohl deutsche Einheit wie auch Sowjetisierung der SBZ von Stalin als Alternativen offen gehalten wur­den, dass aber durch die Politik und Struktur der SMAD eine evolutionäre Sowjeti­sierung der SBZ vorgezeichnet war. Foitziks Hauptinteresse gilt, wie der Untertitel besagt, der Struktur und Funktion der Sowjetischen Militäradminstration in Deutschland. Dabei handelte es sich um eine „komplexe Großorganisation“ (14), deren oftmalige Umbildung ihre Unüber­sichtlichkeit noch steigerte. Der Autor ist sich dieser Problematik wohl bewusst. Um der Unklarheit des Forschungsobjekts durch Klarheit der Untersuchung zu begegnen, hat er ausgewertete Quellen, berücksichtigte Literatur, Forschungsstand und Fragestellungen umfassend dargestellt und den Arbeitsvorgang mitsamt der dabei auftretenden Probleme genau dokumentiert. Als große Hilfe in der Erschlie­ßung der enormen Informationsmenge erweist sich auch der informative Anhang 4' Ra’anan, Gavriel: International Policy Formation in the URSS. Hamden 1983. 443 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen

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