Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften

meistens zu präzisieren, was genau damit gemeint ist, und verlässt sich auf ein verschwommenes Nations- und Identitätsbild des Lesers oder der Leserin. Im Wesentlichen stimmt er jedoch mit Reinhard überein. Für beide Autoren nimmt eine, wenn nicht die zentrale Position der frühneuzeitlichen Staats- und Nationswerdung die Konfessionalisierung ein, die nicht nur die Staatsbildung be­günstigte, sondern auch nationale Identitäten schuf.32 Am Beispiel Spaniens spricht Schilling diesen Zusammenhang an: Es sei ein als „Musterbeispiel für die enge Verflechtung von katholischer Kon­fession und frühmodemer Nationalidentität“ (Schilling S. 76, Reinhard, S. 446), da das Zusammenwirken von Religion und frühmodemer Staatsbildung hier schon im Spätmittelalter erfolgte. Über Jahrhunderte hinweg deckten sich daher in weitesten Teilen Katholizität und nationales Bewusstsein. Spanien ist nur ein Beispiel für einen Identitätsbildungsprozess in Westeuropa, der bereits sehr früh „proto- nationale“33 Züge annahm. Problematischer als in Westeuropa erweist sich der Begriff des „National­bewusstseins“ in Mittel- und Ostmitteleuropa, was von Schilling allerdings nur anhand von einigen Beispielen angesprochen wird: Die Nationsbildung zog sich in diesem Raum - die Niederlande, Belgien und die Schweiz am „Westrand“ ausge­schlossen - wesentlich länger hin, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Von Deutschland spricht man für das 19. und 20. Jahrhundert gern als von einer .verspäteten Nation*. In gewisser Weise gilt dasselbe auch für die Staaten Ostmittel­und Südosteuropas, wenn auch die Gründe andere sind. Deutschland und in noch kom­plexerer Form Österreich konnten erst im 19. Jahrhundert zur Nation werden, weil sie die uralte Tradition des Reiches mitschleppten, das sich nicht zu einem Nationalstaat fortentwickeln ließ. Und da diese beiden Staaten des 19. Jahrhunderts im mittelalterli­chen und frühneuzeitlichen Reich und darüber hinaus auch noch in der für das moderne Nationalbewußtsein so wichtigen Sprache aneinander gebunden waren, komplizierte sich die Nationwerdung bis ins 20. Jahrhundert hinein nochmals aufs äußerste im Ver­hältnis Deutschlands und Österreichs zueinander. (S. 90). Bei Schilling wird in keinem Fall angesprochen, wer denn die Träger dieser na­tionalen Identität waren: Während dies für die frühe Neuzeit nur die geistigen und politischen Eliten sein konnten, verändert sich das in der modemen Staatsbürgerge­sellschaft. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass „nationale Identität“ der frühen Neuzeit und „modernes Nationalbewusstsein“ unterschiedliche Grundlagen haben. Leider führt Schilling nur an anderer Stelle aus, wie die Topographie der 32 Siehe hierzu auch: Schilling, Heinz: Nationale Identität und Konfession in der europäischen Geschichte der Neuzeit, ln: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kol­lektiven Bewusstseins in der Neuzeit, hrsg. von Bernhard Giesen. Frankfurt/M. 1991, S. 192-252, bes. S. 198 f. Dieser Aufsatz, in dem Schilling ebenfalls das Konzept der „Schlüsselmonopole“ ausfiihrt, vermisst man leider in der Auswahlbibliographie des hier besprochenen Bandes des Autors. 33 Zum Begriff des Protonationalismus, den Reinhard im Gegensatz zu Schilling ablehnt, vgl. Reinhard: Geschichte, S. 443 f. 418 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen

Next

/
Oldalképek
Tartalom