Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften

bekannt ist, zurück. In seiner berühmten Schrift „Severini de Monzambano Vero­nensis de statu imperii Germanici“ von 1667 bezeichnete Samuel Pufendorf das Reich als „einen irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper“, da es weder als Demokratie noch als Aristokratie oder Monarchie zu klassifizieren sei. Resü­mierend stellte er fest: Wir können also den Zustand Deutschlands am besten als einen solchen bezeichnen, der einem Bund mehrerer Staaten sehr nahe kommt, in dem ein Fürst als Führer des Bundes herausragende Stellung hat und mit dem Anschein königlicher Gewalt umgeben ist.9 Dass dem Reich mit dem von Aristoteles entlehnten Instrumentarium der Herr­schaftsformen nicht beizukommen ist, zeigt auch die Beschreibung, die Reinhard vom Reich liefert: Das Reich war keine Monarchie und auch kein reiner Fürstenbund, sondern ein neu­artiges, zweistöckiges Herrschaftssystem, dessen theoretische Analyse nicht wenig zur späteren Erfindung des Bundesstaates beitragen sollte (S. 55). Neu an der These Schmidts vom „komplementären Reichs-Staat“ gegenüber her­kömmlichen Interpretationen des politischen Systems im Heiligen Römischen Reich ist also nicht die Betonung zweier „Herrschaftsebenen“, nämlich der des Reichs auf der einen und der der Territorien (Reichsstädte etc.) auf der anderen Seite. Es dürfte auch zweifellos kaum umstritten sein, dass das Reich Zeit seines Bestehens10 11 die fürstliche „Souveränität“ auch in den größeren Territorien - und nur ihnen war eine (territoriale) Staatsbildung überhaupt möglich - eingeschränkt hat, indem im 15. und 16. Jahrhundert Organe wie der Reichstag, die Reichskreise oder das Reichskammergericht ausbildet wurden, die den einzelnen territorialen Gewalten Grenzen setzten. Besonders die Rolle des Kaisers an der Spitze des Le­henssystems des Heiligen Römischen Reichs und sein Reichshofrat sind, trotz Peri­oden relativer Schwäche, kaum zu überschätzen. Wichtig und anders als bei Reinhard und Schilling ist bei Schmidt die Bezeich­nung des Reichs als „Staat“. Auch dies ist keineswegs neu. Erinnert sei nur an die ältere Verfassungsgeschichtsschreibung von Georg von Below oder Heinrich Mitteis, die bereits im Mittelalter einen „(deutschen) Staat“ sehen wollte.“ Aus­drücklich bezogen auf die Neuzeit hat, obwohl von Schmidt nicht zitiert, Rudolf Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen 9 Zitate nach Pufendorf, Samuel: Die Verfassung des deutschen Reiches, Übersetzung, Anmer­kungen und Nachwort von Horst Denzer. Durchgesehene Ausgabe Stuttgart 1985, S. 106 f. Willoweit, Dietmar: Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Teilung Deutschlands. 2. Aufl. München 1992, S. 166 f. Vgl. auch Reinhard: Geschichte, S. 114 f. 10 Ob und wenn ja, ab wann sich Österreich und Preußen aus dem Reich herausentwickelten, kann hier nicht diskutiert werden. Für die übrigen Reichsstände traf dies auf jeden Fall nicht zu. 11 Below, Georg von: Der deutsche Staat im Mittelalter. Eine Grundlegung der deutschen Verfas­sungsgeschichte. 2. Aufl. Leipzig 1925. Mitteis, Heinrich: Der Staat des hohen Mittelalters. Grundlinien einer vergleichenden Verfassungsgeschichte des Lehenszeitalters. 11. Aufl. Köln- Wien 1986 (Nachdruck der 4. Aufl. Weimar 1953; 1. Aufl. Weimar 1940). 409

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