Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs

Lydia Gröbl - Sabine Hödl - Barbara Staudinger zog allerdings die Schätzung und in weiterer Folge den Verkauf der Pfänder nach sich, obwohl - und dies ist ein weiterer zentraler Punkt der Anklage - bereits der Großteil des Kredits zurückbezahlt worden war.204 Auch hier spiegeln sich die ver­schiedenen Interessenslagen in der Rechtsinterpretation wieder: Während die Schuldverschreibung wie auch die Privilegien der Wiener Judengemeinde und einzelne Privilegien wie auch Hofbefreiungen von einem Verkaufsrecht für nicht eingelöste Pfänder nach einem Jahr sprechen,205 vertrat der Hofzahlmeister wie auch der Reichshofrat die Auffassung, dass dies bei einer Teilzahlung nicht mehr legitim sei.2"6 Obwohl der Schuldvertrag für den Laien auf den ersten Blick eindeutig erscheint, und zwar, dass die Pfänder bei nicht erfolgter Einlösung verkauft werden dürfen sowie alle Unkosten, die daraus entstehen, zu ersetzen seien, gab es dennoch Inter­pretationsspielräume, die der Vertrag offen ließ und die zu Gunsten einer Partei genutzt werden konnten.207 Zwar war Leb Brod als Hofjude privilegiert, doch war der Hofzahlmeister sicher die einflussreichere Person, ganz zu schweigen von der Hofkammer, die als kaiserliche Behörde hinter ihm stand.208 Das Urteil erfolgte wohl zu Ungunsten von Leb Brod.209 Der Beklagte sah seine rechtlichen Möglichkeiten darin, an den Obersthofmarschall und nicht an den Kai­204 Abrechnungen Niessers mit Leb Brod, HHStA, RHR, APA, Kart. 125, unfol., o. O., o. D., Ab­rechnung bis 30. September 1621; ebenda, unfol., o. O., o. D., Abrechnung bis 9. Dezember 1621. 2115 Siehe oben Anm. 124. Die Hofbefreiung von Leb Brod liegt derzeit nicht vor. 206 Gutachten des RHR (wie Anm. 201). 207 So etwa die Refundierung des Verlusts, den Leb Brod durch die Münzsteigerung erlitten hatte. Obwohl der Münzkurs, also der damalige Wert in der Schuldobligation eingetragen war, befand der Obersthofmarschall, dass dieser Schaden von Niesser dennoch ersetzt werden müsste (Urteil des Obersthofmarschalls, siehe Anm. 193). Hier fiel das Gutachten des RHR ebenfalls gegenteilig aus (Gutachten des RHR, siehe Anm. 201). 208 HHStA, RHR, APA, Kart. 125, unfol., o. O. [Wien], o. D. [Aktenvermerk 6. Juli 1622], Joseph Niesser ct. Leb Brod puncto revisionis actorum (1629), Bericht des niederösterreichischen Vize- Kammerprokurators Lucas Bonamus an die Hofkammer. Dieser Bericht spricht sich sehr offen ge­gen die Schuldobligation von Leb Brod aus. Darüber hinaus werden hier antijüdische Bilder als Argument aufgeführt: [...] [U]nd weil die fauln juden. in dem sie kein ander Werbung alß den wuecher treiben, welchen sie ihnen in allen negotiis und hanndlungen pro scopo et fine ßirsezen, dan wo der gewin nit erscheindt. tuet kein judt keinen tridt noch zug unter denen christen üben, also wärt nit nur für unordtnung wider die gemeine policei gehalten, in dem den juden deß ge­dachte jüdische interessé [...] passirt wirt, sondern es wehre noch vil mehr contra omnem ratio­nem und wurde denen juden nach mehrer ursach zu ihrer verdamblichen intention geben, wan auf ir bloses lehres jüdisch wuecherisches fürgében, abtrag und schaden [...] den christen solte auf­getragen werden [...]. 209 Weder in den Protokollbüchem noch in den Akten ist das Urteil des RHR in diesem Prozess überliefert, wobei durch den Verfahrensgang des RHR nicht immer Urteile zu den Prozessen er­folgten. Der RHR versuchte hingegen oft, eine gütliche Einigung der Prozessparteien zu erzielen. Siehe Ehrenpreis, Stefan: Die Tätigkeit des Reichshofrats um 1600 in der protestantischen 192

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