Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs
Steuern, Privilegien und Konflikte vilegienfalschung, wie diese Abraham Ries von Lew Kallstatt - wohl zurecht182 183 184 - vorgeworfen wurde, kam somit einem crimen laesae majestatis, einer Majestätsbeleidigung, gleich.1*’ Wie einflussreiche Hofjuden noch auf anderen - informellen - Ebenen agieren konnten, zeigt der darauf folgende Prozess des Fiskals der Reichshofkanzlei gegen Abraham Ries, bei dem es einerseits um die Privilegienfal- schung an sich ging, andererseits aber auch um die, offenbar im Auftrag von Ries durchgeführte, gewaltsame Einziehung des Geleitbriefs von Lew Kallstatt durch den Stadtrichter.'84 Das Vorgehen der städtischen Behörden gegen Kallstatt, das in der fiskalischen Beurteilung als von Abraham Ries lanciert dargestellt wird, legt nahe, dass Ries nicht nur über Einfluss am Hof sondern auch beim Magistrat der Stadt Wien verfugt haben dürfte.185 Nicht nur auf die Bemühungen Kallstatts ist es zurückzuführen, dass sich der Reichshofrat intensiv mit der Causa auseinander setzte. Interessant ist die dem stadtrichterlichen Urteil folgende Auseinandersetzung zwischen dem Magistrat der Stadt Wien und dem Obersthofmarschall um die Zuständigkeit in diesem Fall.1“ Losenstein ortete im Urteil des Stadtrichters eine Kompetenzüberschreitung, die auch in anderen Fällen vorgekommen war, und reichte eine Beschwerde beim Kaiser ein, die an den Reichshofrat weitergeleitet wurde.187 Im Zuge dessen wurde Heinz. Frankfurt/M. 1999 (Jus Commune. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 125). 182 Nach einem Gutachten des Reichshofrates (RHR, Vota, Fasz. 42, unfol. [Wien], 18. März 1622) hatte Abraham Ries die Privilegienabschrift, die dem RHR vorlag, entwenden lassen, um auch hier Kallstatts Namen zu entfernen. Weiters veranlasste er Johann Liebenberg, den Regsitrator der Österreichischen Hofkanzlei, ein Vidismus in seinem Sinne aufzusetzen. 183 Klage des Fiskals der Reichshofkanzlei gegen Abraham Ries, HHStA, RHR, Prot. Res. XVII, Bd. 69b, fol. 107', 10. September 1624. Fiscalis aulicis contra Abraham Rißen, hofiuden alhie, accusat eum super crimine falsificati privilegii et violati salvi conductus et consequenter laesae majestatis. Petit ine zustraffen. Dies sollte, so das Votum des Reichshoffats, Abraham Ries innerhalb von acht Tagen zugestellt werden. 184 Dieser Prozess ist überliefert in: HHStA, RHR, Decisa, Kart. 2037, unfol., Fiscalis Aulicus ct. Abraham Ries (1624). Hier ist nur die Anklage des Fiskals und eine Supplikation von Ries an den Kaiser überliefert. 185 Ebenda, Anklageschrift des Fiskals. Der Stadtrichter habe Kallstatt, [...] wie er jud bey vorgedachter commission das lezte mahl erschinen und heimgehen wollen, ungeacht eur Mt. ihme ert- hailten kayserlichen gleits, securitet und Sicherheit, auf offener freyer gassen durch die Schergen anfallen, hinweg in gefengliche verhafft fueren und so lang darin behalten laßen, biß er gezwungener eur Mt. original gleit und sicherheits brieff von handen geben, dem Rieß Juden zuestellen und alles, was demselben gefallen und gliebt hat, thuen müssen. 188 HHStA, RHR, Revisiones, Kart. 9/2, unfol., o. O. [Wien], 8. März 1624, Hofmarschallische Gravamina betreffend Abraham Ries und Lew Kallstatt (1624), Supplikation des Obersthofmarschalls an Ferdinand II. Neben anderen Gravamina beschwert sich der Obersthofmarschall hier über den Eingriff des Stadtrichters in seine Verfügungsgewalt. 187 Ebenda. [Aufzählung einiger Punkte, darunter auch dieser Prozess] [...] Für das dritte auch der Stattrichter aihier mir in mein ambt einzugreyffen khein abscheiden getragen oder sich enthalten 187