Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 47. (1999)
STÖGMANN, Arthur: Die Erschließung von Prozeßakten des Reichshofrats im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Ein Projektzwischenbericht
Arthur Stögmann tiert.50 Die Reichsfürsten versuchten in der Folge, durch Appellationsprivilegien die kaiserliche Einflußnahme auf die Gerichtsbarkeit zu untergraben. Vor diesem Spannungsfeld gewannen die Fragen der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Reichsgerichte eine herausragende Bedeutung.51 Die obersten Gerichte waren in erster Instanz grundsätzlich nur für Reichsunmittelbare zuständig. Diese Kompetenz war aber durch die Tatsache eingeschränkt, daß ihr im ordentlichen Verfahren die ständischen Schiedsgerichte, die sogenannten „Austräge“, entgegenstanden.52 Den wichtigsten Fall der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Reichshofrats, der von der ständischen Schiedsgerichtsbarkeit ausgenommen war, bildete der Mandatsprozeß. Laut RKG-Ordnung von 1555 fallen darunter alle Fälle, denen eine Gewaltanwendung vorausgegangen war, durch die Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Reich gefährdet werden konnten, vor allem Land- und Religionsfriedensbruch, Arrest- und Pfändungssachen. In all diesen Fällen war schnelle Rechtshilfe geboten, die durch die schwerfälligen Austrägalverfahren nicht gewährleistet war, denen es insbesondere an der Fähigkeit mangelte, eine Vollstreckung anordnen zu können.53 Der Mandatsprozeß gewann eine derart große Bedeutung als Mittel der Reichspolitik des Kaisers, daß die Reichsfürsten anläßlich der Wahlkapitulation Karls VI. den „großen Verfall der Justiz“ beanstandeten, weshalb dem Reichshofrat „nachdrücklich Einhalt“ geboten werden müsse, damit er nicht weiter „mit Mandatis“ verfahre, durch die er den Ständen ihr Austragsrecht vereitele.54 Dabei ging es den Ständen weniger um die Wahrung dieses in der Praxis ohnehin nicht sehr bedeutenden Privilegs, sondern vielmehr darum, die so wichtigen Mandatsfalle dem kaiserlichen Einfluß zu entziehen. Dem Reichshofrat gelang es jedoch bis zur Auflösung des Reiches, seine Zuständigkeit in Mandatssachen gegen die periodisch wiederkehrenden Gravamina der Reichsstände zu behaupten.55 Die Streitgegenstände des reichshofrätlichen Mandatsverfahrens sind ein Spiegelbild des zerrissenen Zustandes des Reichs vom 16. bis zum 19. Jahrhundert und zeigen zugleich die Vielfalt der reichshofrätlichen Eingriffsmöglichkeiten. Allein aus der Sichtung der im „Wolf sehen Repertorium“ unter dem Buchstaben A eingetragenen Fälle, die im Rahmen des Projektes bisher neu verzeichnet werden konnten, ergibt sich eine Zahl von 241 Mandatsprozessen gegenüber lediglich 22 50 ln diesem Sinne äußerte sich etwa Goethe in „Dichtung und Wahrheit“. Nach Uhlhorn: Mandatsprozeß, S. 69, Anm. 8. 51 Uh 1 h orn : Mandatsprozeß, S. 69. 52 Ebenda, S. 70-72. 53 Ebenda, S. 73. 54 Ebenda, S. 81, Anm. 93. 55 Ebenda, S. 83. 262