Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)

KURZREITER, Johann: Österreich-Ungarn und die Kongofrage 1884–1885

ÖSTERREICH-UNGARN UND DIE KONGOFRAGE 1884-1885 von Johann Kurzreiter Die Kongofrage stand am Beginn der kolonialen Aufteilung Afrikas unter die eu­ropäischen Mächte am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Aufteilung Afrikas leitete wiederum das Zeitalter des Imperialismus bis zum Ersten Weltkrieg ein. Nach dem Verfall der älteren Kolonialreiche in Amerika Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts war bis ca. 1880 der informelle Imperialismus die dominierende Form der europäischen Expansion. Die Staaten Europas begnügten sich in Übersee mit der Möglichkeit, Handel zu treiben, wobei der Zugang zu außereuropäischen Märkten notfalls auch gewaltsam erzwungen wurde (z. B. China). Auf die Erwer­bung formellen Kolonialbesitzes wurde im großen und ganzen verzichtet (zum Teil bestand älterer Kolonialbesitz aus der frühen Neuzeit fort). In den 1880er Jahren gewann das Streben nach formeller Inbesitznahme außereuropäischer Territorien, also der klassische Kolonialismus, wieder die Oberhand über die informellen Metho­den wirtschaftlicher und politischer Einflußnahme1. Die Okkupation Tunesiens durch Frankreich 1881 und Ägyptens durch Großbritannien 1882 standen am Be­ginn dieses Prozesses. Zu den älteren imperialistischen Mächten Großbritannien, Frankreich, Rußland gesellten sich nun Deutschland und Italien, in den neunziger Jahren auch die USA und Japan als neue Kolonialmächte. Afrika wurde neben Asien und der Inselwelt des Pazifischen Ozeans das große Objekt des modernen Imperia­lismus. Die Gründe für diese Expansionsbewegung der großen Industriestaaten waren im einzelnen verschieden, insgesamt spielten wirtschaftliche, außenpolitische und in­nenpolitisch-gesellschaftliche Motive eine Rolle. Als zentrale Ursache können die sozialen Spannungen im Inneren der Industriestaaten, die aus dem Prozeß der Indu­strialisierung resultierten, angesehen werden, die von den führenden Schichten auf eine Entladung nach außen in Form imperialistischer Expansion gelenkt wurden2. Österreich-Ungarn betrieb zu keiner Zeit Kolonialpolitik. Es gab zwar im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wieder Ambitionen in diese Richtung, sie wurden jedoch nie realisiert. In den 1850er Jahren wurden in Kreisen um Erzherzog Maximilian, Finanzmini­ster Bruck und den Nationalökonomen Lorenz von Stein Pläne einer überseeischen 1 Mommsen, Wolfgang J.: Der moderne Imperialismus als innergesellschaftliches Phänomen. Versuch einer universalgeschichtlichen Einordnung. In: Der moderne Imperialismus, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1971, S. 14—30; Anm. S. 14 f. 2 Ebenda, S. 16 f. Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46/1998 67

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