Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)
RAUSCHER, Peter: Recht und Politik. Reichsjustiz und oberstrichterliches Amt des Kaisers im Spannungsfeld des preußisch-österreichischen Dualismus (1740–1785)
Recht und Politik die im engeren Sinn politischen Prozesse21 und damit eng verbunden die Frage nach dem Einfluß auf die Reichsgerichte selbst. Zu den Prozessen von erheblicher politischer Brisanz sind dabei besonders Klagen der Untertanen gegen ihre Landesherren22, vor allem die der Landstände gegen die Versuche von Landesherren, ein von ständischer Mitbestimmung unabhängigeres Regiment einzurichten23, zu zählen, sowie reichshofrätliche Achtverfahren24 25 und Klagen von Reichsständen untereinander wegen territorialer oder erbrechtlicher Streitigkeiten23. Große politische Bedeutung hatten auch die reichshofrätlichen Kommissionen zur Abwicklung finanzieller Schwierigkeiten regierender Fürsten, deren Herrschaftsrechte in solchen Fällen oft eingeschränkt wurden26, sowie die Beilegung innerstädtischer Unruhen27. Solche Prozesse boten vor allem dem Kaiser über die reichshofrätliche Rechtsprechung ein breites Maß an Einfluß auf die Territorien und trugen damit ganz wesentlich zum Wiedererstarken des Kaisertums nach dem Dreißigjährigen Krieg bei28. Als einseitiges kaiserliches Machtinstrument ließ sich der Reichshofrat zwar nicht gebrauchen, ohne sich selbst des reichsständischen Vertrauens in seine Rechtsprechung zu berauben: „Er bewegte sich vorsichtig, nützte Interpretationsspielräume in einer Weise, die man ihm nicht leicht als Rechtskrudenbruch oder als kaiserliche Parteijustiz auslegen konnte-aber das grundsätzliche Festhalten an den kaiserlichen Rechtspositionen, vor allem in Zweifelsfällen, im Verfahren und in der Sache [...] war außerordentlich wichtig“29. Diese Tendenz der reichshofrätlichen Rechtsprechung, nämlich die Interessen des Kaisers und des Erzhauses Österreich mitzubedenken30, bot, wovon unten noch die 21 Hertz, Friedrich: Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte im römisch-deutschen Reich und ihre politische Bedeutung. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung [in Hinkunft: MIÖG] 69 (1961), S. 331-358; Press: Die kaiserliche Stellung im Reich, S. 70 f. 22 Hertz: Reichsgerichte, S. 334-342. 23 So beispielsweise gegen den Grafen von Isenburg (1654), den Grafen von Oettingen (1678), den Herzog von Mecklenburg-Schwerin (1679, 1688), den Grafen von Reuß (1693), den Grafen von Neuwied, den Grafen von Schlitz-Gorz, den Fürsten von Nassau-Siegen, den Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt. Besonders prominente Beispiele von Ständekonflikten fanden in Ostfpiesland, Württemberg und Mecklenburg statt (Hertz: Reichsgerichte, S. 342-348). 24 Diese mußten allerdings gemäß des Reichsschlusses von 1711 vom Reichstag bestätigt werden, was im Fall Friedrichs II. während des Siebenjährigen Krieges scheiterte (vgl. ebenda, S. 346); zum Achtverfahren allgemein siehe Landes, Dietrich: Achtverfahren vor dem Reichshofrat. Frankfurt am Main (Diss.) 1964. 25 P r e s s : Die kaiserliche Stellung, S. 70 f. 26 Hertz: Reichsgerichte, S. 350. 27 Ebenda, S. 350 f. 28 Press: Reichshofrat, S. 355-361; Press : Die kaiserliche Stellung, S. 70. 29 Press: Reichshoffat, S. 359. 30 Vgl. unten Anm. 99. Auch Joseph II. war selbstverständlich die politische Bedeutung der Prozesse am Reichshoffat bewußt. Vgl. Österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Reichsho- lfat, Verfassungsakten [in Hinkunft: HHStA, RHR, Verfassungsakten] 10, fol. 418r-421v (665r-667v), Joseph II. an den Reichshofratspräsidenten Graf Harrach. Wien 1767 März 19: Die Reichshofräte sollen ihren regelmäßigen Tätigkeitsberichten „ins besondere die politischen Betrachtungen, so dabey einschla- gen“, (fol. 418r) hinzufügen. 273