Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)
EMINGER, Stefan: Gewerblicher Mittelstand in Österreich Zur Zeit der großen Depression. Organisation, Interessenpolitik und politische Mobilität im Gewerbe 1930–1938
Stefan Eminger Die Politik des legalen Gewerberinges war von Beginn an darauf ausgerichtet, die Kontrolle über die Pflichtgenossenschaften zu erlangen.82 Konkrete inhaltliche Positionen waren demgegenüber nachrangig. Sie bildeten ohnehin nur eine Kopie gewerblicher Standardforderangen und wurden von den zentralen Elementen der nationalsozialistischen Gewerbepropaganda, Antisemitismus und Polemiken gegen gewerbliche Spitzenfunktionäre, weitgehend überlagert.83 Sehr rasch gelang es der NSDAP auch, auf die im Zuge der gewerblichen Protestbewegung entstandenen „Notgemeinschaften“ bestimmenden Einfluß zu erlangen.84 Anfang 1933 gingen Fachgruppen des Gewerberinges sogar dazu über, solche vorgeblich „unpolitischen“ Zusammenschlüsse selbst ins Leben zu rufen, um so weitere Kreise von Gewerbe und Handel für die Partei zu gewinnen.85 Die Anziehungskraft der NSDAP auf Gewerbetreibende war je nach Branche unterschiedlich groß.86 Als erste liefen Lohnführwerker („Taxler“) in das Lager der Nationalsozialisten über. Bei den Genossenschaftswahlen im Frühsommer 1932 unterstützte beinahe die Hälfte der Wiener Taxler die nationalsozialistische Fraktion.87 Bedeutsamer war indes das Eindringen der Nationalsozialisten in die recht wohlhabenden Spitzenverbände des Baugewerbes. Nicht zuletzt durch die Instrumentalisierung der „Notgemeinschaft für das Baugewerbe“ war es gelungen, die Präsidien dieser Organisationen nahezu lückenlos mit Parteigängern zu besetzen.88 Als „Einstiegsfenster“ dienten den Nationalsozialisten dabei die Gruppen der Zivilingenieure, Architekten und Baumeister, während sie unter den Steinmetzen, Maurerund Zimmermeistern weniger erfolgreich waren. Ausgeprägte Affinitäten zum Nationalsozialismus konnten zudem unter den Trafikanten,89 in der alpenländischen Tourismusbranche sowie generell in den Hagebünden Tirols und Vorarlbergs nachgewiesen werden.90 82 AdR, ParteiA/NS. Parteistellen, Kt. 8, Mappe NS Handels- und Gewerbering Organisaton, Undatiertes Schreiben an die Reichsleitung der NSDAP, Organisation I. 83 Exemplarisch: N.S. Nachrichten für deutsche Handels- und Gewerbetreibende 1 (Mai 1932), S. 2-3 und 6; Die Zunft. Organ der deutscharischen Handels- und Gewerbetreibenden Österreichs 2 (15. April 1934), S. 1. 84 AdR, ParteiA/NS. Parteistellen, Kt. 8, Mappe NS Handels- und Gewerbering Korrespondenz, Schreiben an Rupert Feichtner, Salzburg, vom 6.10.1932; Wiener Neueste Nachrichten 9 (16. Februar 1933), S. 5; Matt 1: Gewerbeproteste, S. 54. 85 AdR, ParteiA/NS. Parteistellen, Kt. 8, Mappe NS Handels- und Gewerbering Monatsberichte, Bericht für Jänner 1933. 86 M attl: Gewerbeproteste, S. 53. 87 Der Handel- und Gewerbetreibende. Organ des Verbandes der sozialdemokratischen Gewerbetreibenden und Kaufleute Österreichs in Wien 23 (16. Juli 1932), S. 6. 88 AdR, BKA/Alig., SR, Sign. 15/4, GZ. 255.739/1934, Kt. 2498, „Verband der Baumeister Österreichs“ und „Österreichischer Arbeitgeberbund im Baugewerbe“ beide mit dem Sitze in Wien; Antrag auf Enthebung des Obmannes Baumeister Soche. (Vdg. 130/34). 89 AdR, ParteiA/NS. Parteistellen, Kt. 8, Mappe NS Handels- und Gewerbering, Fachgruppe Trafikanten, Tätigkeitsberichte Juni bis Dezember 1932. 90 Zu NS-Affinitäten im alpenländischen Fremdenverkehrsgewerbe: AH GZ 15 (13. Mai 1933), S. 1; Dies. 15 (20. Mai 1933), S. 2; Dies. 15 (3. Juni 1933), S. 5; Walser, Harald: Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933-1938. Wien 1983 (Materialien zur Arbeiterbewegung 28), S. 32 f. Der Tiroler Hagebund hatte angeblich die Innsbrucker Geschäftsstelle des erwähnten „Kaufmännischen Interessenver12