Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien
Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788-1791) verschaffte59. Jedenfalls war der Türkenkrieg für Monate Diskussionsthema Nummer eins in Wien. Es waren gleich mehrere Punkte, die 1788 heftige Diskurse auslösten. Zunächst ging es um die Billigkeit des Krieges. Die „loyale“ Kriegsberichterstattung in den Zeitungen, die sich zumeist an den Hofberichten orientierte, stützte ihre Zustimmung auf zwei Hauptargumente: auf den „gerechten Krieg“ sowie auf die Bewertung der Türken als Erbfeinde Europas, die es zu vernichten galt. J. M. Schweighofer kommt in seinen „Betrachtungen über die Ursachen und Folgen des gegenwärtigen Türkenkriegs“, ohne überhaupt die Zielrichtung des österreichisch-russischen Bündnisses zu berühren, auf die simple Schlußfolgerung: „Der Kaiser ist mit Rußland verbunden... Die Pforte hat nun Rußland den Krieg angekündigt. Der Fall des Bündniß (sic!) ist eingetroffen, folglich muß Oesterreich Rußland mit Heereskraft vertheidigen ... Keine Kriege sind gerechter, als die man führt um den Frieden zu behaupten.“60 Johann Rautenstrauch, von Ernst Wangermann als „schriftstellerischer Knappe des Kaisers“61 tituliert, geht hingegen noch einen Schritt weiter und von einer absonderlichen Variante des „Naturrechts“ aus: „Jene Völker, die an Sitten, Aufklärung und Einsichten andern den Vorsprung abgewonnen haben, und durch eine wohlgegründete weise Regierungsform in den Stand ge- sezt worden, grosse Unternehmungen auszuführen, sind gewissermassen von der Natur berechtigt, barbarische Nationen . . . zu besiegen ... Wenn ich nicht irre, so sind dies die Gründe, welche die Nachbarn der Pforte, Oesterreich und Rußland, berechtigen, die Türken in die Enge zu treiben. Eine barbarische Regierung, welche durch Jahrhunderte die Geisel Europa's war, unterdrücken, heißt die Rechte der Menschheit rächen.“62 Die völlig ahistorische Ein- und Geringschätzung, die in diesen beiden Zitaten zum Ausdruck kommt, entsprach in ihrer Simplizität keineswegs der mentalen Einstellung der Bevölkerung im Jahre 1788. Das Feindbild63 des grausamen, blutrünstigen, tyrannischen und teuflischen Türkenhundes schlummerte zwar noch nach Jahrhunderten der Bedrohung im Unterbewußtsein der Leute, und Rautenstrauch und 59 Hinweis von Wangermann Emst, dem ich nicht nur für wichtige Anregungen, sondern auch für die uneigennützige Bereitstellung von Material zu herzlichem Dank verpflichtet bin. 60 Schweighofer, (J. M.): Betrachtungen über die Ursachen und Folgen des Türkenkriegs. Frankfurt- Wien 1788, o. S.; die „offizielle“ Linie wird auch im folgenden Werk des Autors fortgesetzt: Eröffnung des zweiten Feldzugs der Kaisermächte wider die ottomanische Pforte. Frankfurt-Wien 1789; explizit als gerechter Krieg wird der Türkenkrieg auch bezeichnet in der völlig unkritischen „Predigt“ von Pilat, Kaspar: Christliche Betrachtungen über den gegenwärtigen Krieg des Erzhauses Oesterreich mit der Otto- manischen Pforte. An meine Landsleute in Böhmen. Prag 1788, S. 10. 61 Wangermann, Emst: Die Sonne der Aufklärung. In: H e i s s, Gemot - Liessmann Konrad Paul (Hrsg.): Das Millennium. Essays zu tausend Jahren Österreich. Wien 1996, S. 155. 62 Rautenstrauch (Johann): Ausführliches Tagebuch des itzigen Krieges zwischen Oesterreich und der Pforte. Wien 1788, 1. Bd. S. 8; vgl. zum zeitgenössischen Topos der despotischen Regierung auch die unter einem Pseudonym erschienene Spottschrift: Simmerl, Alois: Politische Betrachtungen über die Türken. Wien 1783, S. 4. 63 Die Feststellung, daß in Europa die „Feindbilder aus der Zeit der heraufziehenden Türkengefahr ... fast ungebrochen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein fort(wirkten)“ (Grimm, Gerhard: Das „Türkenbild“ der philhellenischen Freischärler. In: Südosteuropa unter dem Halbmond. München 1975 (Beiträge zur Kenntnis Südosteuropas und des Nahen Ostens), Bd. 16, S. 88 f.) entspricht nicht den Wiener Verhältnissen dieser Zeit 69