Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

HÖDL, Sabine: Eine Suche nach jüdischen Zeugnissen in einer Zeit ohne Juden. Zur Geschichte der Juden in Niederösterreich von 1420 bis 1555

Eine Suche nach jüdischen Zeugnissen in einer Zeit ohne Juden selbst nicht möglich und auch nicht statthaft wäre. Auch den christlichen Untertanen würde es schwer fallen, ihre Schulden bei den Juden in so kurzer Zeit zu begleichen. Außerdem sollte den Juden noch die Möglichkeit gegeben werden, ihre Häuser, Weingärten und andere liegende Gründe und Güter dem richtigen Wert entspre­chend zu verkaufen. Damit niemand übervorteilt oder benachteiligt würde, wurde den Juden zugestanden, noch ein Jahr länger in Niederösterreich zu bleiben. In die­sem Jahr galten die Privilegien und Freibriefe auch weiterhin, jedoch wurde den Juden untersagt, neue Geschäfte zu beginnen, die einen längeren Verbleib im Land über die Jahresfrist hinaus bewirken würden. Sollten die Juden Schwierigkeiten beim Verkauf ihrer Güter haben, so hätten die örtlichen Obrigkeiten die Aufgabe, für die Rechtmäßigkeit der Geschäftsabwicklung zu sorgen, bei Gütern, die nicht verkauft werden könnten, sollte eine Schätzung vorgenommen werden. Erschien diese dem Käufer oder Verkäufer nicht angemessen, seien solche Güter zu versteigern, der Erlös daraus sollte dem betroffenen Juden nach Gebühr bezahlt werden47. Am 31. März 1555 wurde ein weiteres Patent Ferdinands I. bekanntgegeben, das eine weitere Fristerstreckung bis zum 24. Juni 1556 enthielt. Diese Erstreckung wurde dann noch einmal um ein weiteres Jahr verlängert. In beiden Fällen waren Bitten der Juden vorausgegangen, den Ausweisungstermin zu verschieben, da sie noch immer nicht alle Schulden bezahlt bzw. ihre Ausstände eingebracht hätten48. Der mehrmali­ge Ausweisungsbefehl wurde jedoch auch nach 1557 nie gänzlich wirksam. Ab 1560 trafen laufend Anfragen bei der Hofkammer ein, wie denn die Urbarsteuer auf jene Juden zu veranschlagen sei, die sich noch immer in Zistersdorf, Wölkersdorf, Mar­chegg und Eisenstadt aufhielten, woraus geschlossen werden kann, daß zumindest ein Teil der Juden das Land tatsächlich nicht verlassen hatte. In einem Schreiben des Abraham Putzman, Steuereinnehmer in Österreich unter der Enns, von 1563 heißt es, daß ettlich juden in der statt Eissenstatt, auch derselben umbligenden fleckhen (...) íren thempl unná lerrer noch zur Eissenstatt haben49. Die Bedeutung dieser Bemerkung liegt nicht nur darin, daß sich in Eisenstadt unter dem Pfandherren Josef von Weißpriach wieder eine jüdische Gemeinde gebildet hatte - die erste in Öster­reich unter der Enns nach der blutigen Verfolgung von 1420/21 - sondern, daß Ei­senstadt auch der zentrale Ort für in umliegenden Siedlungen vereinzelt lebende Juden war, in den sie zu den Feiertagen, aber wohl auch, um Geschäfte zu erledigen, reisten. Mit diesen Darstellungen zeigt sich, daß die Ausweisungsbefehle im fünften und sechsten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts weitaus weniger effizient waren, als jene von 1496 für die Juden in der Steiermark und in Kärnten. Es handelte sich um einen erneuten Versuch, die Juden ganz aus Niederösterreich zu vertreiben, doch war der obrigkeitliche Druck gering. Die Juden waren kein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor mehr im Land, der für den Geldbedarf des Landesfürsten erhalten bleiben mußte. Sie waren, bis auf wenige Ausnahmen, für den Herrscher von geringer Be­Pribram: Urkunden und Akten (wie Anm. 3), S. 17-19, Nr. 8. 48 Ebenda, S. 20, Nr. 9. 49 HKA Wien, NÖ HA, Fasz. W 61/C 43, fol. 58r (1563), liegt fol. 73-74 (1565 März 13/14) bei. 285

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