Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

FLÖTER, Jonas: „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun, …“ Zum Verhältnis Bismarcks und des preußischen Gesandten in Wien zur ministeriellen Krise in Cisleithanien und zu Beusts Sturz (1869–1871)

Die sich entwickelnde Annäherung zwischen Preußen-Deutschland und Öster­reich-Ungarn veranlaßte Bismarck, auf diese Mitteilung umgehend zu reagieren. Er betonte, daß er sich in Hinblick auf eine Angliederung der deutschen Provinzen Österreichs bereits mehrmals geäußert habe und diese nicht wünsche. Schweinitz solle sich dahingehend aussprechen und zugleich hervorheben, daß antidynastische Bestrebungen in Österreich-Ungarn preußischerseits als antimonarchisch und damit auch als gegen Preußen gerichtet angesehen würden62. Überdies stellte sich der konsequente Annäherungskurs Beusts gegenüber Preußen- Deutschland für Bismarck als besonders vorteilhaft heraus, da er in der sich aber­mals verschlechternden militärischen Situation Preußens, Anfang Dezember 1870, mit der Möglichkeit eines erneuten Vorstoßes der Neutralen63 rechnete. Obwohl Bismarcks Erlaß vom 14. Dezember 1870 außer freundlichen Bekundungen gegen­über Österreich-Ungarn nichts Konkretes enthielt, hob Beust in seiner Entgegnung den Wunsch nach freundschaftlichen Beziehungen hervor und meinte etwas zwei­deutig, daß eine Verbindung zwischen der Dynastie Kaiser Franz Josephs und dem deutschen Volk nur noch in der wärmsten Sympathie für dessen Entwicklung bestehe64. Ferner betonte Beust, daß eine Entzweiung zwischen Preußen und Rußland in Wien keine Unterstützung finden würde65. Bismarck konnte trotz der unausgesprochenen Absichten Beusts66 mit dessen Hal­tung zufrieden sein67, zumal Andrássy zwar die Beust-Depesche vom 26. Dezember 1870 unterstützte, aber meinte, daß er stets dafür war, Preußen die Hand zu geben und Rußland die Faust zu zeigen68. „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun ..." 3 Diese für Bismarck keineswegs beruhigenden Äußerungen Andrássys sowie die Berufung des föderalistisch-proslawischen Ministeriums Hohenwart-Schäffle ließen Beust für eine Annäherung zwischen Wien und Berlin zunehmend unentbehrlich erscheinen. Bereits im ersten Bericht betont Schweinitz den konservativen und katholischen Charakter der meisten Minister des Ministeriums Hohenwart-Schäffle sowie dessen direkte bzw. indirekte Verbindung zur tschechischen Politik69. Die Berufung des „als Preußenfeind bekannten großdeutschen Demokraten“70 Schäfile empfand Schweinitz 62 Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8422 (Bismarck an Schweinitz, 15. Dezember 1870). 63 Lutz: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches, S. 385. 64 Bismarck: Die gesammelten Werke. Bd. 6b, S. 652, 653 (Nr. 1993, Vorbem.). 65 Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8423 (Schweinitz an Bismarck, 29. Dezember 1870). 66 Beust, Friedrich Ferdinand Graf von: Aus Drei Viertel-Jahrhunderten. Erinnerungen und Aufzeichnun­gen. Bd. 2. Stuttgart 1887, S. 445. 67 Bismarck: Die gesammelten Werke. Bd 6b, S. 652, 653 (Nr. 1993, Bismarck an Schweinitz, 1. Januar 1871). 68 Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8423 (Schweinitz an Bismarck, 9. Januar 1871). 69 Ebenda, R 8460 (Schweinitz an Bismarck, 7. Februar 1871). 70 Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8423 (Schweinitz an Bismarck, 9. Februar 1871). 261

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