Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43. (1993) - Festschrift für Rudolf Neck zum 65. Geburtstag
BROUCEK, Peter: Über den Schriftennachlaß des Feldmarschalls Franz Conrad von Hötzendorf im Kriegsarchiv
Publikation einer Aktenedition aus den Beständen der Aktensammelstelle „Militärische Staatsakten“ nicht zustimmte14), schien eine von der Direktion des Kriegsarchivs gelenkte „private“ Aktenedition ein geeigneter Ersatz. Sie wurde als Memoiren Conrads „Aus meiner Dienstzeit“ gleichsam getarnt und war beim Tode Conrads, der nur verbindende Texte erarbeitete, bis Jahresende 1914 gediehen. Alle Bemühungen der Aktensammlung, -auswertung und -edition in diesem Zusammenhang, die vor allem zur Gewinnung der Registraturen und Dienstbücher der Adjutanten führten, hatte der Autor des vorliegenden Beitrages bereits darzulegen versucht. Ais nach dem Tod des Feldmarschalls die Fortsetzung jenes Werkes aufgegeben wurde, trat das von der Regierung geförderte Generalstabswerk „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ gleichsam an seine Stelle: eine militärwissenschaftlich hochwertige aber doch auch eindeutige Rechtfertigung der Tätigkeit des Offiziers- und vor allem des Generalstabskorps15). Nachlässse und Donationen an privaten Aufzeichnungen der Generalität wurden dafür gesammelt und herangezogen - aber auch unterdrückt. Nach dem deutschen Einmarsch und dem nationalsozialistischen Anschluß Österreichs sollte die historio- graphische Betrachtung der Dienstzeit Conrads durch die beiden Kriegsarchivdirektoren Edmund Glaise-Horstenau (Direktor 1925-1936) und Rudolf Kiszling (Direktor des Kriegsarchivs 1936-1938 bzw. des Heeresarchivs Wien 1938-1945) in einem biographischen Werk erfolgen. Dieses schien das geeignete Objekt zu sein, die österreichische und die deutsche Traditionspflege des Generalstabskorps miteinander zu verschmelzen, ebenso wie die Ausübung der Militärgeschichtsschreibung der beiden Heere. Infolge der aktuellen politischen Ambitionen Glaise-Horstenaus und des Ausbruchs des zweiten Weltkrieges kam dieses etwa zur Hälfte bereits konzipierte Buch nicht zustande16). Über den Schriftennachlaß des FeldmarschaUs Franz Conrad von Hötzendorf 14) Peter Broucek, Die Abteilung für militärische Staatsakten (1918-1920) im Rriegsarchiv, in Scrinium 28 (1983) 324-332; zur Militärhistoriographie der Zwischenkriegszeit vgl.: Kurt Peball, Österreichische Militärhistorische Forschungen zum Ersten Weltkrieg zwischen 1918 und 1968, in Die Auflösung des Habsburgerreiches. Zusammenbruch und Neuorientierung im Donauraum (= Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa Instituts III) Wien 1970, 309-317; Peter Broucek, Militärgeschichte in Österreich von 1918 bis 1938/45 in: Militärgeschichte in Deutschland und Österreich vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart (= Vorträge zur Militärgeschichte 6) Herford 1985, 87-107. 15) Die wichtigste Conrad-Biographie der Zeit bis 1938 ist: August Urbanski von Ostrymiecz, Conrad von Hötzendorf - Soldat und Mensch, 1. Aufl. Graz 1938, 2. Aufl. Graz 1939. Sie erschien fast gleichzeitig mit dem letzten Textband und dem Registerband des Generalstabswerkes. 16) Von einem Beamten des Heeresarchivs Wien erschien die Biographie: Ferdinand Stöller, Feldmarschall Franz Graf Conrad von Hötzendorf, Leipzig 1942. 161