Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)

HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's

Harald Heppner gebahnt. Im Volke lebt aber noch immer der Sonderstellungsbegriff. „Wir müssen eine neue Religion gründen“, rief mir ein bekannter und jetzt sehr gefürchteter Journalist zu, „Serben und Kroaten müssen ver­einigt werden. Die Agitation wird demnächst anfangen.“ Dieses Cabinet56) hatte einen sehr schweren Stand. Als Regierung ist sie nach Oben hin von den nichtradikalen Regenten abhängig, nach Unten zu wird sie durch ihre Versprechungen und die Unzufriedenheit ge­hemmt. Die Wahlen57)' werden ohne Zweifel radikal ausfallen, aber dass die Partei auch compakt bleiben würde, darüber sind selbst die optimistischen Führer im Zweifel. Und die Regierung wird fallen; wenn die Anzeichen nicht trügen, sind dabei innere Umwälzungen nicht aus­geschlossen. Der einzige Mann, welcher trotz seiner bekannten Eigenschaften ernst zu nehmen ist, Herr Ristits, scheint gealtert und, wie ich mir erzählen liess, sentimental geworden zu sein. Er klagt über das Schwinden der Autorität, über die schlechte Erziehung der Kinder - seine Kinder sind auch mißrathen — , beklagt den „armen Milan“ und medisirt über sein eigenes Schicksal, dass er zweimal Regent sein musste. Trotz alledem, und dass sein Rheuma in allen Gliedern gefährlich rumort, lenkt er das Staatschiff. Er will und, wenn es mit seiner Gesundheit nicht abwärts gehen sollte, wird er auch Regent bleiben und seinen Leuten58) zur Regierung verhelfen. Seine in intimen Kreisen gemachten Äusserungen lassen dies vermuthen. Er hält z. B. den Metropoliten Michail59) für einen geriebenen Klosterpfaffen, der ihm sehr ungelegen ist, die Radi- calen aber für methodische Schwärmer. Nur im Betreff des kleinen Königs und Risztits herrscht ein nicht ausgesprochener Zwiespalt. Die Hofleute können den „arroganten, geizigen und verlogenen“ Risztits nicht leiden, konnten aber nicht verhindern, dass der junge 17jährige Risztits - ein, wie man in hiesigem Dialekt sagen würde, „Früchterl“ - tagtäglich den kleinen König aufsuche. Diese kleinen Neckerei[e]n wird Herr Risztits leicht beseitigen. Er ist in der angenehmen Lage eines bewährten Sachwalters, er ist „der Alte“. Namentlich König Milans Finanzen wurden vor seiner Abreise ge­56) Die Regierung Sava Grujic II amtierte vom 7. März 1889 bis 29. März 1890, siehe Karl Kaser Handbuch der Regierungen Südosteuropas 2(1833-1980) (Graz 1982) 487. 57) Die Wahlen fanden am 26. September 1889 statt, worauf für die serbische Skup- stina 102 Abgeordnetenmandate auf die Radikale Volkspartei, 15 auf die Liberale Volks­partei entfielen (Zivanovic Politicka istorija Srbije 37). 58) = Angehörige der Liberalen Volkspartei. 59) Mihailo (Miloje Jovanovic) (1826—1898), 1859-1881 und 1889-1898 serbischer Metropolit, dazwischen als Gegner König Milans und Anhänger des Panslawismus im russischen Exil. 170

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