Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)
Rezensionen 473 Betrachtung der Vergangenheit im weitesten Sinne Hilfe bei der Bewältigung der Gegenwart und Zukunft geben will, sogar gefährlich). Mit skurril und mit harmlos kann man wohl vieles bezeichnen, nicht aber jene gezielt antisemitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten, die eine Teilung der Gesellschaft in Juden und „Arier“ mit einer Fülle von genau kalkulierten Vorschriften (etwa das „Badeverbot“ in öffentlichen Bädern gehörte dazu) im sozialen Bereich sehr bald nach der „Machtübernahme“ durchsetzten und damit die vorhandenen antisemitischen Ressentiments in der österreichischen Bevölkerung verstärkten. „Skurril-harmlos“ war das Trachtenverbot auch für die Betroffenen nicht: In der ländlichen Gesellschaft gehört(e) das Tragen von Dirndl und Lederhose zur Selbstverständlichkeit (zum Teil bürgerlicher) Sozialisation. Darüberhinaus war die Landestracht zur Teilnahme an verschiedenen Festveranstaltungen, Umzügen, Bällen, Tanzveranstaltungen, Volksfesten etc. unbedingt erforderlich. Das Trachtenverbot war für die Betroffenen eine über die propagandistische Diskriminierung hinausgehende Ausgliederung aus der Gesellschaft. Ähnlich bedenklich und mißverständlich erscheint m. E. auch jene Formulierung, die der Autor für Loyalität, Resistenz und Widerstand der katholischen Bauern verwendet: Ohne auf die spezifischen Formen des sozialen Protests dieser Gruppe und deren Begründung in der ökonomischen Situation der bäuerlichen Warenproduzenten in der Verbindung mit der katholischen Religion einzugehen, meint H., nachdem er einige Ursachen von bäuerlichen Unmutsäußerungen, wie die nationalsozialistischen Maßnahmen zur Gemeindezusammenlegung, Ortsnamensänderungen und Religionsunterrichtseinschränkungen aufgezählt hat, „es waren vor allem die Frauen, die laut und deutlich Nein sagten. Ein junger, fescher Kaplan, der mit Kindern umzugehen vermochte, konnte einem ideologisch fanatisierten Lehrer als Ortsgruppenleiter noch immer Paroli bieten“ (S. 169). Abgesehen von den sich aufdrängenden Fragen, ob sich nun die Prädikatsbezeichnung des Kaplans auf die Frauen im vorhergehenden Satz oder auf die Kinder zu beziehen hat und ob ein Pfarrer in der damaligen Zeit imbedingt die genannten Attribute haben mußte, um erfolgreich resistent zu sein, muß die Aussage dieses Satzes bezweifelt werden, zumal er ohne größere Schwierigkeiten auch reziprok anwendbar wäre. Die Weigerung gerade von Bäuerinnen, ihre Kinder zur HJ zu senden, lag einerseits in der Erziehungsaufgabe der Frau begründet und andererseits in der befürchteten Gefahr einer Entfernung der Kinder von der Arbeit am Hof. Im Gegensatz dazu bestärkte doch die Kirche die Kinder und Jugendlichen in der Mithilfe an der Familienarbeit und in der Autorität der Eltern. Auch die Feststellung, daß die Gemeindezusammenlegungen das „traditionale Beharrungsvermögen der Bauern“ mobilisierten, geht an den Ursachen des Bauem- protests vorbei: Es war die großteils berechtigte Angst der Bevölkerung der Klein- und Kleinstgemeinden, daß ihre Steuerleistungen für infrastrukturelle Maßnahmen in den Zentren der Großgemeinden herhalten mußten. ' Gibt das Werk einen sehr guten Überblick über die Entwicklung Salzburgs in der NS-Zeit, werden neue Fragestellungen, etwa über Provinz- und Heimatkultur, über die Zustimmung der Bevölkerung zu Maßnahmen des Systems aufgeworfen, so erhebt sich dennoch die Frage nach dem Wert des Buches für eine kritische Aufarbeitung des Nationalsozialismus, welche doch mehr sein sollte als eine bloße Erklärung vergangenen Geschehens. Martin Broszat forderte unlängst eine „Historisierung des Nationalsozialismus“, und meinte