Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)

390 Leopold Auer utraque parte iusta kann übrigens auch auf bereits mittelalterliche Überlegun­gen zurückgeführt werden20). „In den Jahrzehnten nach dem Westfälischen Frieden wurde die bisweilen schwer erkennbare Spur des europäischen Friedensdenkens plötzlich zur brei­ten Straße“, an der im 18. Jahrhundert in noch erheblich größerem Ausmaß weitergebaut wurde21). Lutz schließt seine Übersicht daher mit einem Ausblick auf die Rolle der Aufklärung und einem Hinweis auf Rousseau, der ansatzweise die marxistische Theorie von der Notwendigkeit revolutionärer Gewalt zur Abschaffung des Krieges vorwegnimmt22). Damit wird in etwa der zeitliche Anschluß an den nächsten Beitrag hergestellt, in dem Herta Nagl-Docekal die Bedeutung von Kants Argumentation für den „ewigen Frieden“ für die heutige Friedensbewegung analysiert23). Nagl-Docekal entwickelt Kants Friedensbegriff aus den allgemeinen Prämis­sen seiner Philosophie, für die die Frage nach dem Frieden einen Ausgangs­punkt darstellt, indem „das gesamte Unternehmen seiner Metaphysik- bezie­hungsweise Vernunftkritik als die spezifische Form einer radikal und vollstän­dig unternommenen Kultur- und Zivilisationskritik“24) in der Nachfolge Rous­seaus auszulegen ist. Auch thematisch bleibt also der Anschluß an den Beitrag Lutz’ gewahrt. Kant meint, wie Nagl-Docekal gegen die Verhaltensforschung hervorhebt25), daß Friede nicht auf die psychische Friedfertigkeit des Menschen, sondern nur auf seine Vernunft gegründet werden kann, die im Sinne des kategorischen Imperativs „den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Frie­denszustand dagegen zur unmittelbaren Pflicht macht“26). Aber auch wenn sich der Mensch, wie Kant einräumt, nicht immer von Vemunftgründen leiten Schwendi in Festschrift für Bereut Schwineköper, hg. von Helmut Maurer und Hans Patze (Sigmaringen 1982) 516 ff und 520 Anm. 76. 20) Vgl. Hehl Kirche und Krieg 192 f; Kimminich Der gerechte Krieg 210 und 222 Anm. 8 nimmt die Urheberschaft dieser Idee fälschlich für Alberico Gentilis 1588 erschienenes Werk De iure belli libri tres in Anspruch. 21) Heinz Duchhardt Gleichgewicht der Kräfte, Convenance, Europäisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum "Wiener Kongreß (Erträge der Forschung 56, Darmstadt 1976) 29. 22) Lutz Friedensideen 54; vgl. unten S. 3931 Außer Betracht bleibt bei Lutz der Aufklärer schlechthin, Voltaire; vgl. Herbert Lamm Voltaire et l’idée de paix in Revue d'histoire diplomatique 92 (1978) 262—274. 23) Herta Nagl-Docekal Immanuel Kants Philosophie des Friedens und was die Friedensbewegung der Gegenwart daraus gewinnen könnte in Friedensbewegungen 55-74. 24) Ebenda 56. 25) Ebenda 60. Allerdings liegt das Problem nicht so einfach, daß es ohne eingehende­re Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur leichthin abgetan werden könnte. Vgl. dazu etwa Johannes Kneutgen Der Mensch ein kriegerisches Tier (Stuttgart 1970) sowie Alois M. Becker und Hans Strotzka Kritik der Aggressionstheorien in Gewalt und Gewaltlosigkeit 94-113 samt den Bemerkungen in MÖStA 32 (1979) 468 f. 2e) Immanuel Kant Zum ewigen Frieden in Werke in sechs Bänden, hg. von W. Weischedel, 6 (Darmstadt 1964) 211; vgl. zur näheren Erklärung Nagl-Docekal Kants Philosophie des Friedens 63.

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