Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)
LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes
24 Ernst Laubach Formeln pflegt selten reflektiert zu werden; so wurde die Austauschbarkeit von „Nationalversammlung“ und „Nationalkonzil“ gefördert, wie noch zu zeigen sein wird. Während des Regensburger Reichstages von 1532 haben die katholischen Reichsstände nochmals eine Nationalversammlung beantragt. Sie erinnerten den Kaiser an seine Zusage im jüngsten Augsburger Abschied, binnen sechs Monaten die Ansage eines Konzils durch den Papst herbeiführen zu wollen, und forderten ihn auf, sich nochmals darum zu bemühen; oder, falls der Papst versage, angesichts des Notstandes der Christenheit als ihr Haupt und Beschützer die Ausschreibung selbst vorzunehmen; oder aber, wenn ein Generalkonzil unter keinen Umständen realisierbar sei, damit einverstanden zu sein, „das sich die stende yetzt allhie einer nacio- nalversamblung verainen und vergleichen, tag und malstat ernennen, darauf sy zesamen khumen und davon ratslagen und handlen, die irrigen puncten in cristlich guet ainigkeit und Vergleichung ze pringen“ 1M). Die Idee einer gütlichen Einigung ist jedoch nur noch verbal vorhanden, die Tonart gegenüber den Protestanten ist viel schärfer geworden. Die „Nationalversammlung“ wird diesmal nicht als Gremium zur Erarbeitung interimistischer Regelungen bis zum Konzil gekennzeichnet — diese Klausel zur Geltungsdauer der Ergebnisse fehlt auffälligerweise —, sondern als letzter den katholischen Ständen noch bleibender Ausweg, um der wachsenden, die Grundlagen aller Ordnung und damit ihre eigene Position bedrohenden „neuen Sekte“ noch Herr zu werden. Das Ganze stellt eine unverhohlene Kritik an der kaiserlichen Politik dar, wie auch die bei den parallel zum Reichstag laufenden Sonderverhandlungen mit den Protestanten in Aussicht genommenen Vereinbarungen abgelehnt wurden, weil solche Vorläufigkeiten keine Abhilfe schaffen könnten * 134). Karl V. hat das Verlangen der katholischen Stände wieder als Antrag auf ein National k o n z i 1 ausgelegt und abgewiesen. Meistens überging er in seinen Antworten ihre Aushilfsvorschläge mit Stillschweigen, einmal wertete er ein Nationalkonzil deutlich ab 135). In seiner Auffassung wurde er durch die Vertreter der Kurie bestärkt, die nicht müde wurden, auf die Gefahren eines Nationalkonzils für die Gesamtkirche hinzuweisen, und die in ihrer Berichterstattung über die ständischen Repliken „na- tionalversamblung“ konsequent mit „concilio nationale“ wiedergegeben i**) Schreiben der katholischen Reichsstände an den Kaiser 1532 Juni 7/9 bei Johannes Ficker Aktenstücke zu den Religionsverhandlungen des Reichstages zu Regensburg 1532 in Zeitschrift für Kirchengeschichte 12 (1891) 588—592 (das Zitat 591). Allgemein dazu Ascan Westermann Die Türkenhilfe und die politisch-kirchlichen Parteien auf dem Reichstag zu Regensburg 1532 (Heidelberg 1910) bes. 123 ff, 159 ff. 134) Ficker Beiträge 599 f; dazu Luttenberger Glaubenseinheit 180, der von „Obstruktionspolitik“ spricht. 135) Die verschiedenen Schreiben des Kaisers an die Stände bei Ficker Aktenstücke 592 ff, 602 f, 608 ff.