Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

.Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert 13 Daraus folgt, daß man m. E. nicht mit H. Jedin an der Bezeichnung „National­konzil“ für die projektierte Versammlung von Speyer festhalten sollte 64). Da der Begriff „Nationalversammlung“ nach allem bisher Dargelegten ungeeignet ist, scheint mir die einmal von G. Müller verwendete „Versammlung der deut­schen Stände zur Behandlung der Religionsstreitigkeiten“ 65) trotz ihrer Um­ständlichkeit am ehesten angemessen. Nicht angängig ist es, von der deutschen Konzilsnation während der Reform­konzilien für das 16. Jahrhundert die „deutsche Nation“ als „Organisationsform neben dem Reich“ im Sinne einer „Körperschaft, die sich zu kirchlichen Fragen zu äußern hat“ und in der „gleichberechtigt mit der weltlichen Obrigkeit ... die theologischen Doktoren der landesfürstlichen Universitäten in Deutschland stehen“, herleiten zu wollen, die in der „Nationalversammlung“ von Speyer hätten in Aktion treten sollen; diese kühne Uberinterpretation durch Rosen- stock-Huessy hält vor dem Quellenbefund nicht stand 66). Schon im Frühjahr 1524 war es unter den näher beteiligten Zeitgenos­sen strittig, ob die Namensänderung lediglich eine kosmetische Korrektur oder von substantieller Bedeutung sei. Die Antwort lag in der Zukunft. Der Legat, der ja einen Rechtsstandpunkt der Kurie zu vertreten hatte, hat gegen „communem congregationem Germanice nationis ... fiendam“ die gleichen Einwände erhoben wie gegen das „concilium nationale“ 67); verhindern konnte er den Beschluß nicht mehr. Hannart, der kaiserliche Orator, registrierte die Änderung eher als Erfolg, denn er interpretierte sie als Verzicht auf das Nationalkonzil in Deutsch­land; der Versammlung in Speyer sah er zwar nicht ohne Sorgen entgegen, aber er riet dem Kaiser zu uneingeschränkter Teilnahme: Er möge Fer­dinand Verhandlungsvollmacht erteilen, instruierte Gesandte schicken und auch einen theologischen Sachverständigen, etwa einen Professor von der Universität Löwen, der die lutherischen Häresien zu entlarven in der Lage sei, abordnen 68). Die Erzherzogin Margarete, Karls Tante und Statthalterin in den Niederlanden, meinte hingegen, jene Versammlung * 87 88 64) Jedin Konzil von Trient 1 526 Anm. 75. 65) Nuntiaturberichte aus Deutschland [= NB] 1. Abteilung, hg. v. Deutschen Historischen Institut in Rom, 17 Bände u. 2 Erg.-Bde. (Tübingen 1891—1981), hier Erg. Bd. 1, LX. CG) Eugen Rosenstock-Huessy Die europäischen Revolutionen (Jena 1931) 210—213; Neuaufl. u. d. Titel Die europäischen Revolutionen und der Cha­rakter der Nationen (Stuttgart—Köln 1951) 222—226. Durch Verkürzung noch vergröbert bei Otthein Rammstedt Zum Problem der „frühbürgerlichen“ Revolution in Rainer Wohlfeil (Hg.) Reformation oder frühbürgerliche Revolution? (München 1972) 242 f. 87) RTA JR 4 522 f (Protest von 1524 April 17). Womöglich erweckte der Ab­schiedsentwurf den Eindruck, gegen den sich Campeggio außerdem verwahren mußte, der Legat habe der Alternative Generalkonzil oder „Nationalversamm­lung“ zugestimmt (ebenda 524 Anm. 2 in Verbindung mit dem kritischen Appa­rat 604). 88) Hannart an Erzherzogin Margarete, 1524 April 20 (ebenda 775—778, bes. 777). Instruktion Hannarts für Gilles an den Kaiser, 1524 April 26 in Correspondenz des Kaisers Karl V., mitgetheilt von Karl L a n z, 3 Bände (Leipzig 1844—1846), hier 1 125—127. Vgl. dazu Hof mann Konzilsfrage 90; Borth Luthersache 152.

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